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Psychoanalyse
Unter der Psychoanalyse (griechisch ''psichanálissi'', wörtlich die Auflösung der Seele im Sinne von ''die Untersuchung, Enträtselung der Psyche'') versteht man:
- ein Konzept zur Beschreibung, Erklärung und Verständnis des Menschen als biopsychosoziales Wesen unter besonderer Berücksichtigung mentaler, Psychodynamik|psychodynamischer, unbewusster Prozesse, das teilweise der Humanwissenschaft zugeordnet wird (psychoanalytische Wissenschaft)
- eine Gruppe von psychotherapeutischen Behandlungsverfahren ("psychoanalytische bzw. psychodynamische Therapie") und eine Methodologie zur Untersuchung mentaler und kultureller Phänomene (psychoanalytische Methodik).
Die Psychoanalyse ist eine Schule der Tiefenpsychologie. Begründet wurde die Psychoanalyse um 1900 vom Wiener Neurologen Sigmund Freud. Bis heute wird sie von psychoanalytischen Klinikern und Forschern weiterentwickelt und verändert, so dass die (post)moderne Form der Psychoanalyse durch einen theoretischen, methodischen und therapeutischen Pluralismus charakterisiert ist.
Definition
- Psychoanalyse als Wissenschaft
Die Psychoanalyse bezeichnet sich nicht nur als Wissenschaft vom Unbewussten, sondern verfolgt " wie bereits Freud" den weitaus höheren Anspruch, ein umfassendes Konzept des Mentalen inklusive seiner Verbindungen zu den Sphären des Somatischen und des Soziokulturellen zu entwickeln. Aus diesem Grund wurde sie von Alfred Lorenzer auch als eine Wissenschaft zwischen den Wissenschaften bezeichnet, die sich inmitten eines Dreiecks von Biologie, Psychologie und Soziologie befinde. Psychoanalytiker der nachfolgenden Generationen haben die Psychoanalyse in vielfältige Richtungen weiterentwickelt, dabei teils mit Freud übereinstimmend, teils weit von ihm abweichend. Diese stetige Differenzierung der psychoanalytischen Theorie hat - ergänzt um integrative Bemühungen - zur Entstehung einer Vielzahl von psychoanalytischen Schulen mit bestimmten Schwerpunkten geführt. Dazu zählen z.B. Triebpsychologie, Ichpsychologie, Objektbeziehungspsychologie, Selbstpsychologie, Relationale und Intersubjektive Psychoanalyse und Strukturalistische Psychoanalyse. Als komplexes, mehrschichtiges Programm wird die Psychoanalyse als nahe zu den Humanwissenschaften eingeordnet. Beinahe jede wissenschaftstheoretische Denkrichtung hat die Wissenschaftlichkeit der Psychoanalyse untersucht. Die verschiedenen Ergebnisse geben ein immer noch umstrittes Bild ab. Einige Grundannahmen der Psychoanalyse konnten auch empirisch nachgewiesen werden. Einige Kritiker vertreten auch den Standpunkt, die Psychoanalyse sei eine Pseudowissenschaft .
- Psychoanalyse als Methodik
Des weiteren versteht man unter Psychoanalyse eine von Freud in ihren Grundzügen entwickelte Methodologie zur Untersuchung menschlichen Erlebens und Verhaltens sowie kultureller Objektivationen. Leitidee hierbei ist, dass sich hinter der deskriptiven Oberfläche der Phänomene eine unbewusste Bedeutung verbirgt, welche sich durch diverse Irritationen im Material, wie z.B. Fehlleistungen, Widersprüche, Metaphern, verrät. Ungeachtet aller Probleme, welche eine Operationalisierung psychoanalytischer Theorien und eine Kodifizierung psychoanalytischer Methodik mit sich bringen, konnten Psychoanalytiker in den vergangen drei bis vier Jahrzehnten eine mittlerweile beachtliche Phallanx von Analysemethoden entwickeln. Mit diesen lassen sich z.B. Texte psychoanalytisch interpretieren (Lorenzer: Szenisches Verstehen), Übertragungsprozesse messen (Benjamin: SASB; Luborky: ZBKT), die Persönlichkeitsstruktur und Konflikte diagnostizieren (Arbeitskreis OPD: OPD) oder Erzählstrukturen analysieren (Boothe: Erzählanalyse JAKOB).
- Psychoanalyse als Therapie
Außerdem versteht man unter Psychoanalyse eine Gruppe von psychotherapeutischen Behandlungsmodalitäten, welche unter dem Oberbegriff psychoanalytische bzw. psychodynamische Therapie firmieren. Die Psychoanalyse zählt zu den Einsichtstherapieen, welche versuchen, dem Kranken die Einsicht in die Ursachen seines Leidens zu vermittlen und somit zu heilen. Dazu zählt unter anderem auch die klassische Psychoanalyse, welche mehrmals wöchentlich über einige Jahre hinweg stattfindet, und bei der der Patient (Analysand) auf der Couch liegt und frei assoziiert, während der hinter ihm sitzende Analytiker mit der Haltung der gleichschwebenden Aufmerksamkeit zuhört. Hinzu kommen, die heutzutage weit verbreiteten psychoanalytischen Psychotherapien, bei denen sich Analytiker und Analysand gegenübersitzen und lediglich ein bis zweimal wöchentlich treffen. Erwähnenswert sind noch die zunehmend häufiger durchgeführten psychoanalytischen Fokaltherapien bzw. psychodynamischen Kurzzeittherapien, in denen ein klar umschriebenes Problem in insgesamt ca. 20 bis 30 Sitzungen behandelt wird. Außerdem gibt es noch psychoanalytische Paar- und Familientherapie, Gruppenpsychoanalyse, stationäre psychodynamische Therapie, psychoanalytische Supervision. Gemeinsam ist all diesen Verfahren, dass sich in der therapeutischen Beziehung aktualisierende Übertragungen und Widerstände des Patienten unter Mithilfe der Gegenübertragung des Analytikers aufgespürt, interpretiert und so einer Veränderung zugänglich gemacht werden.
Zu bedeutenden Psychoanaltikern der ersten Generationen zählen neben Freud noch Karl Abraham, Alfred Adler, Siegfried Bernfeld, Helene Deutsch, Paul Federn, Otto Fenichel, Sandor Ferenczi, Ernest Jones, Carl Gustav Jung, Hermann Nunberg, Sandor Rado, Otto Rank, Theodor Reik, Wilhelm Reich.
Wichtige Vertreter der Ichpsychologie sind Heinz Hartmann, Anna Freud, Erik H. Erikson, Margaret Mahler, René A. Spitz. Exponenten der Objektbeziehungstheorie sind D.W. Winnicott, Melanie Klein, Michael Balint, W.R.D. Fairbairn. Die Selbstpsychologie wurde von Heinz Kohut begründet. Bedeutende Vertreter der Psychoanalyse in Frankreich sind Jacques Lacan, Andre Green, Jean Laplanche. Die so genannte Neo-Psychoanalyse ist mit den Namen Karen Horney, Harry Stack Sullivan und Erich Fromm verbunden. Bedeutende zeitgenössische Psychoanalytiker sind Otto Kernberg, Peter Fonagy, Daniel Stern. Als Begründer der Bindungstheorie, welche innerhalb wie außerhalb der Psychoanalyse weite Verbreitung fand, gilt der Psychoanalytiker John Bowlby.
Grundlagen der psychoanalytischen Theorie
Die Grundzüge der Psychoanalyse als erste umfassende Theorie des Mentalen unter besonderer Berücksichtigung unbewusster Prozesse wurden Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts vom Wiener Neurologen Sigmund Freud entwickelt. Die Auseinandersetzung mit der menschlichen Psyche und auch dem Unbewussten ist freilich älter und kann bis zur Antiken Philosophie zurückverfolgt werden. Unmittelbare Vorgänger Freuds waren die Philosophen Arthur Schopenhauer und Friedrich Nietzsche, aber auch in den Werken bedeutender Dichter wie Johann Wolfgang von Goethe und Arthur Schnitzler können literarische Analogien psychoanalytischer Theorien gefunden werden. Freud kommt so gesehen nicht das Verdienst zu, das Unbewusste entdeckt, sondern es als Erster untersucht und beschrieben zu haben.
Dazu ging Freud teilweise von der Untersuchung von Alltagsphänomenen wie Mythen, Bräuchen, Witzen, Träumen und Fehlleistungen aus, welche zuvor nur wenig Interesse von Seiten einer seriösen Wissenschaft geerntet haben. Weitere Daten, auf die sich Freud stützte, waren seine intensive Selbstanalyse sowie die psychologische bzw. psychotherapeutische Behandlung von neurotischen Patienten. Ausgehend von diesen Phänomenen, die er mithilfe der freien Assoziation erforschte, konnte er psychische Modalitäten und Funktionsweisen entdecken, die in der einen oder anderen Form bei allen Menschen angetroffen werden können.
Bei jeder Darstellung der Grundlagen von Freuds Theorien muss erstens vorweggeschickt werden, dass Freuds Theorie nicht in geschlossener Form vorliegt, da er sein ganzes Leben über an seinen Theorien gefeilt und diese immer wieder überarbeitet hat, wenn sich ihm neue Erkenntnisse aufgedrängt haben, und zweitens, dass die Psychoanalytiker der nachfolgenden Generationen diese Theorien vielfach eigenständig weiterentwickelten, auch gänzlich neue Konzepte und Theorien eingeführt haben, sodass die Psychoanalyse in ihrer zeitgenössischen Form keineswegs mit dem Werk Freuds gleichgesetzt werden darf.
Traumatheorie
Bis 1897, der sogenannten Frühphase der Psychoanalyse steht Freud ganz unter dem Eindruck der Behandlung hysterischer Patientinnen, die ihm eine vielfältige Symptomatik präsentierten, und häufig von sexuellen Übergriffen in ihrer Kindheit berichteten. Aufgrunddessen betonte Freud die zentrale Stellung, welche Traumatisierungen (primär, aber nicht nur sexueller Natur) in der Entstehung von psychischen Erkrankungen zukommt. Später relativierte er diese Auffassung dahingehend, dass auch andere Faktoren wie z.B. innere Konflikte eine bedeutende Rolle in der Ätiologie der Neurosen einnehmen können, ohne jedoch die Traumatheorie völlig zu verwerfen. Im Allgemeinen wird jenes Modell, das psychische Erkrankungen als eine Folge von Erlebnissen erklärt, welche aufgrund ihrer überwältigenden Intensität, die normalen Schutzmechnismen der Persönlichkeit zusammenbrechen lassen, als Traumatheorie bezeichnet.
Objektbeziehungstheoretisch orientierte Psychoanalytiker wie René A. Spitz und Massud Khan haben im Gegensatz zu einmalig auftretenden Extremtraumatisierungen noch die Wichtigkeit so genannter kumulativer Traumatisierungen bzw. Mikrotraumatisierungen herausgestellt. Hierbei handelt es sich um unzählige Male wiederholte Erschütterungen der kindlichen Persönlichkeit durch ein konstant unzureichendes Milieu. Die fatalen Auswirkungen so einer mangelnden Akzeptanz des Kindes auf das in Entstehung befindliche Selbst wurden von Heinz Kohut herausgearbeitet. Insbesondere Psychoanalytiker, die Kinder von KZ-Überlebenden in Behandlung hatten, konnten zudem feststellen, dass schwer traumatisierte Menschen, die ihre katastrophalen Erfahrungen nicht verarbeiten konnten, ihr Trauma in modifizierter Form an die nächste Generation weitergeben (transgenerationale Traumatisierung). Heute gibt es eine eigene Domäne, welche sich der Analyse und Behandlung von traumatischen Erfahrungen verschrieben hat, und die viele psychoanalytische Theorien integriert hat: die Psychotraumatologie. Viele Hauptvertreter dieser Richtung, wie z.B. Gottfried Fischer sind Psychoanalytiker.
Triebtheorie
Ein weiteres wichtiges Bestimmungsstück im Werk Freuds ist die so genannte Triebtheorie. Eng damit verbunden ist das Konfliktmodell, welches innere Widersprüche bzw. Konflikte zwischen unterschiedlichen Persönlichkeitsanteilen oder auch der Person und der Umwelt als krankheitsverursachend betrachtet. Insofern ergänzt es die oben dargestellten traumatheoretischen Überlegungen. Eng verknüpft mit den triebtheoretischen Überlegungen ist auch das so genannte Lustprinzip, welches besagt, der Mensch suche nach lustbringenden Aktivitäten und vermeide unlustvolle.
Unter einem Trieb versteht man ein angeborenes, innerpsychisches, sich selbst reproduzierendes Grundbedürfnis. Diesem kann man sich im Unterschied zu externen Reizquellen nicht entziehen; d.h. es ist zwar ein Aufschub der Befriedigung möglich, die Intensität des Bedürfnisses nimmt aber kontinuierlich zu. Bis zu einem gewissen Grad sind allerdings Ersatzbefriedigungen möglich.
Die wesentlichen Bestimmungsstücke eines Triebs sind Quelle, Drang, Ziel und Objekt. Unter der Quelle versteht man jene physiologischen Regionen, in denen ein psychisch erlebter Riz entsteht. Quellen des Sexualtriebs (Libido) wären z.B. die orale oder die genitale Zone. Der Drang wiederum beschreibt die imperative Qualität des sich als Affekt und Vorstellung äußernden Triebs (z.B. Hunger). Das Ziel des Triebes ist definiert als ein Verhaltenskomplex, welcher den offensichtlichsten Bestandteil des Triebs darstellt. Im Falle des Selbsterhaltungstriebs wären mögliche Ziele Essen oder Trinken, im Falle des Sexualtriebs der Koitus. Das Objekt schlussendlich ist der variabelste Teil am Trieb und mit diesem lediglich aufgrund seiner Eigenschaft verknüpft, die erwünschte Befriedigung zu verschaffen. Das Objekt des Sexualtriebs kann so gesehen ein gegengeschlechtlicher Partner, aber auch einfach nur ein Stück Latex sein.
Was Art und Anzahl der Triebe anbelangt, ist Freud weitgehend Dualist geblieben. Anfangs (1905-1914) stellt er den der Arterhaltung dienenden Sexualtrieb den der Selbsterhaltung dienenden Ichtrieben gegenüber. Die Libido (Sexualtrieb) betrachtet Freud einer in Phasen verlaufenden Entwicklung unterworfen (der Mensch ist von Geburt an ein sexuelles Wesen: oral, anal, phallisch-genital; ödipal). 1914 unterschied Freud innerhalb des Sexualtriebs zwischen einer narzisstischen Libido, welche auf das eigene Selbst gerichtet ist und einer Objekt-Libido, die Zuwendung auf andere Personen richtet. 1920 postuliert er schließlich einen großen Antagonimus von Lebenstrieben mit ihrer Tendenz, Bindungen herzustellen, und Todestrieben mit zersetzend-destruktiver Tendenz.
Freuds letzter Triebtheorie, darunter vor allem der Annahme eines Todestriebs, wollten die meisten Psychoanalytiker nicht folgen, wohl weil sie auf einem zu hohen Abstraktionsniveau angesiedelt war. Auch die hinter dem Wirken von Trieben vermuteten Energiequanten stoßen heute nicht mehr auf breiten Konsens.
Es ist ein Verdienst der Objektbeziehungstheorie das Primat der Libidotheorie zur Erklärung allen menschlichen Verhaltens gebrochen zu haben und realen und phantasierten zwischenmenschlichen Interaktionen Anerkennung als eigenständiges und nicht nur von der Libido abgeleitetes Grundmotiv verschafft zu haben. Einer der Pioniere auf diesem Feld war Fairbairn, der - allerdings noch in libidotheoretischer Terminologie - argumentierte, die Libido suche eigentlich nicht nach Lust, sondern nach dem Objekt. Besondere Bedeutung kommt auch Melanie Klein zu, welche die Uranfänglichkeit der Objektbeziehung betonte und zwischen einer paranoid-schizoiden und einer depressiven Position in der frühesten Entwicklung unterschied. Nicht zu vergessen John Bowlby, Begründer der Bindungstheorie, in dessen Werk die Mutter-Kind-Beziehung und ihre Folgen im Mittelpunkt stehen. Margaret Mahler schließlich hat die Entwicklung von der am Anfang des Lebens bestehenden Symbiose zwischen der Mutter und ihrem Baby hin zur schrittweisen Unabhängigkeit, der Individuation beschrieben.
Den unterschiedlichen, im Verlauf der Geschichte der Psychoanalyse diskutierten Grundbedürfnissen Rechnung tragend hat Joseph D. Lichtenberg eine Theorie der Motivationssysteme entwickelt und fünf menschliche Grundbedürfnisse postuliert:
- das Bedürfnis nach Regulation physiologischer Erfordernisse;
- das Bedürfnis nach Bindung;
- das Bedürfnis nach Exploration und Selbstbehauptung;
- das Bedürfnis, aversiv zu reagieren;
- das Bedürfnis nach sinnlicher Lust und sexueller Erregung.
Topographisches Modell und Drei Instanzenmodell
Das topographische Modell versucht psychische Inhalte hinsichtlich des Grads ihrer Bewusstheit zu klassifizieren und zu Systemen zusammenzufassen, deren Relationen untereinander von einem Zensor geregelt werden. Das System Bw (Bewusstsein) kann mit einem psychischen Raum verglichen werden, dem es obliegt, Reizkonfigurationen der inneren Welt und der äußeren Realität zu erfassen. Es ist ein Sinnesorgan zur Wahrnehmung psychischer Qualitäten. Das System Vbw (Vorbewusstes) enthält jene psychischen Inhalte, welche zwar momentan im Bewusstsein nicht präsent sind, aber mittels willentlicher oder zum Teil auch unwillentlicher Aufmerksamkeitsausrichtung abgerufen werden können. Das System Ubw (Unbewusstes) besteht aus psychischen Inhalten, welche selbst durch gezielte Konzentration nicht ins Bewusstsein gehoben werden können. Es gibt verschiedene Arten unbewusster Prozesse, von denen Freud dem Verdrängten am meisten theoretischen Platz eingeräumt hat. Hierbei handelt es sich um von Individuum und/oder Kultur verfemte Impulse und Vorstellungen, die abgewehrt bzw. ins Ubw verdrängt werden. Die therapeutische Erfahrung hat Freud gelehrt, dass die verdrängten Inhalte sich in entstellter Art wieder Zugang zum Bw verschaffen (Wiederkehr des Verdrängten).
Theoretische Schwierigkeiten mit diesem Modell haben Freud zur Entwicklung des Drei-Instanzen-Modells veranlasst, dem bekanntesten Persönlichkeitsmodell der Psychoanalyse. Es versteht die menschliche Psyche als in drei Instanzen untergliedert, welche teilweise interagieren und teilweise in Konflikt miteinander geraten können. Das Ich sitzt räumlich gesprochen an der Oberfläche der Persönlichkeit und gehorcht dem Realitätsprinzip. Es steuert das Selbst, die Interaktionen mit und die Anpassung an die Umwelt. Es kontrolliert Wahrnehmung und Motilität, was ihm die Aufgabe moderater Triebbefriedigung zukommen lässt. Die synthetische Funktion des Ich beschreibt seine Aufgabe zwischen den Anforderungen der verschiedenen Instanzen und der Außenwelt zu vermitteln. Das Es, ein von Georg Groddeck geprägter Begriff, ist jener völlig unorganisierte Teil der Persönlichkeit, in dem die verdrängten Wünsche und archaischen Verhaltensmuster beheimatet sind. Es ist die Quelle der Triebregungen und im Gegensatz zum Ich und zum Über-Ich gänzlich unbewusst. Das Über-Ich, die moralische Instanz, besteht aus den durch die erzieherischen Einflüsse verinnerlichten Verboten und Geboten. Freud hat die drei Instanzen mit einem Gleichnis aus der Reiterei veranschaulicht: Das Ich entspricht dem Reiter, das Es dem Pferd und das Über-Ich der Rolle des Reitlehrers.
Da Konflikte nicht nur zwischen den Instanzen auftreten können (z.B. zwischen Es und Ich), sondern auch zwischen widersprüchlichen Tendenzen innerhalb einer Instanz (z.B. zwei entgegengesetzte moralische Forderungen des Über-Ich), wurde von der späteren Psychoanalyse zwischen intersystemischen Konflikten und intrasystemischen Konflikten differenziert. Ein weiteres Problem ergab sich dadurch, dass Freud den Begriff Ich auf zweierlei Art und Weise verwendete: Einmal um ein Sammelsurium psychischer Funktionen zu beschreiben und einmal um damit die ganze Person zu bezeichnen. Dies machte eine Trennung von Ich und Selbst erforderlich, wobei der Begriff Ich für die erlebnisfernen psychischen Funktionen reserviert blieb und der Terminus Selbst fortan die Summe der erlebnisnahen Vorstellungen von der eigenen Person beschrieb. Eng verwandt mit dem Konzept des Selbst ist das der Identität.
Entwicklungstheorie
Die Psychoanalyse geht davon aus, dass die menschliche Persönlichkeit sich das ganze Leben über in Entwicklung befindet und dabei verschiedene Phasen mit je besonderen thematischen Schwerpunkten durchläuft. Besonders prägenden Einfluss auf die erwachsene Form der Psyche haben die frühen Phasen der Entwicklung, deren Störung durch erhöhte Vulnerabilität und/oder ein inadäquates Milieu pathologische Entgleisungen anbahnen kann. In der psychoanalytischen Entwicklungsforschung werden sowohl Informationen erwachsener Personen über ihre Kindheit als auch direkte Beobachtungen von Individuen in den entsprechenden Entwicklungsphasen zur Theoriebildung benutzt. Freud konzentrierte seine theoretische Aufmerksamkeit hierbei auf die psychosexuelle Entwicklung. Die infantile Sexualität wird von ihm als polymorph-pervers bezeichnet, womit zum Ausdruck gebracht werden soll, dass das Kind noch über keine stabile sexuelle Identität verfügt und unterschiedliche Arten des Lustgewinns praktiziert, welche teilweise an sexuelle Devianzen erwachsener Patienten erinnern. Freud postulierte eine orale (ca. erstes Lebensjahr), eine anale (ca. zweites/drittes Lebensjahr) und eine phallisch-genitale Phase in der Entwicklung der Libido, welche von Karl Abrahm um zusätzliche Phasen ausdifferenziert wurden. Die Entwicklung der kindlichen Sexualität kulminiert im so genannten Ödipuskonflikt (ca. viertes bis sechstes/siebentes Lebensjahr), in dem das Kind seine Liebe auf den gegengeschlechtlichen Elternteil richtet und mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil um dessen Gunst rivalisiert. Form und Brisanz des Konflikt weisen erhebliche interkulturelle und interfamiliäre Differenzen auf. Der Untergang des Ödipuskonflikts leitet die Latenzphase ein und wird durch den Verzicht auf den gegengeschlechtlichen Elternteil und die Errichtung eines stabilen Über-Ichs mit Inzesttabu charakterisiert. In der Adoleszenz werden die unterschiedlichen Partialtriebe schließlich unter das Primat der Genitalität gestellt.
Wesentlich erweitert und ausgebaut wurden diese Gedanken Freuds durch Erik H. Erikson, der die menschliche Entwicklung in acht Phasen von der Geburt bis zum hohen Alter einteilte. In seinem Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung geht er davon aus, dass die individuelle Lösung jeder dieser Phasen den Ausgang eines ihr inhärenten Konflikts zwischen zwei antagonistischen Tugenden bestimmt. Dabei nimmt die Art der Lösung der vorhergehenden Phasen, welche wesentlich von den Umwelterfahrungen, die der Mensch macht, determiniert wird, einen Einfluss auf Ausgestaltung und Bewältigung der folgenden phasentypischen Krisen. So entscheidet z.B. das grundsätzliche Angenommenwerden des Kindes durch seine Bezugspersonen in der allerfrühesten Zeit des Lebens darüber, ob ein Mensch mit einem gesunden Urvertrauen oder Urmisstrauen durchs weitere Leben geht.
D.W. Winnicott und Margaret Mahler haben ihre Aufmerksamkeit auf die zu Beginn des Lebens extrem enge Verbindung zwischen Mutter und Kind gerichtet und die schrittweise Entwicklung hin zu größerer Autonomie beschrieben. René A. Spitz hat die Entwicklung der Objektbeziehung und den präverbalen Dialog zwischen dem Baby und seiner Bezugsperson untersucht. Seine Forschungen in Säuglingsheimen, in denen die Kinder zwar medizinisch versorgt waren und genügend Nahrung zur Verfügung hatten, aber trotzdem an mysteriösen psychosomatischen Erkrankungen und einer hohen Sterblichkeitsrate litten, konnten den Nachweis erbringen - was zur damaligen Zeit alles andere als selbstverständlich war -, dass der Entzug zwischenmenschlichen Kontakts, die soziale Deprivation, dafür verantwortlich war. Einen bedeutenden Beitrag dazu hat auch John Bowlby geleistet, dessen theoretischer Schwerpunkt die zwischenmenschliche Bindung war. Die Entwicklung einzelner Ichfunktionen wurde von Anna Freud thematisiert. Zu den bedeutendsten zeitgenössischen psychoanalytischen Entwicklungsforschern zählen Daniel N. Stern, ein international renommierter Säuglingsforscher, der die Entwicklung des Selbstempfindens beschrieben hat, Robert N. Emde, ein Schüler von Rene Spitz, der sich unter anderem mit der Entwicklung der Affektvität auseinandersetzt sowie Peter Fonagy, der sich um die Integration von Bindungstheorie und Psychoanalyse kümmert und die Entwicklung von Mentalisierung (theory of mind) und Affektregulierung erforscht. Im deutschen Sprachraum hat sich Martin Dornes einen Namen in der psychoanalytischen Säuglingsforschung gemacht. Was die Ableitung bestimmter psychischer Störungen von Komplikationen in gewissen Entwicklungsphasen anbelangt, so geht man gemäß Freuds Konzept der Ergänzungsreihen davon aus, dass physische, psychische und soziale Faktoren an der Genese beteiligt sind. Entscheidend für den Ausbruch einer psychischen Erkrankung oder Resilienz ist ein kompliziertes Wechselspiel von Risikofaktoren und protektiven Faktoren.
Affekttheorie
Die Affekttheorie hat ebenso wie die Triebtheorie verschiedene Umformungen durchlaufen. Freud selbst hat drei Affektmodelle entwickelt und sein Hauptaugenmerk im zuge dessen stets auf den Affekt der Angst gerichtet, dem ihm zufolge eine Schlüsselstellung in jeder Pathologie zukommt. Im ersten Affektmodell Freuds wird primär die Rolle des Affekts im traumatischen Geschehen untersucht. Freud ging hierbei davon aus, dass der durchs Trauma freigesetzte und in seiner Abfuhr blockierte Affekt für die Symptombildung verantwortlich ist. Später ergänzt Freud diese Annahmen dahingehend, dass der Angstaffekte auch das Ergebnis eine Konflikts zwischen der nach Befriedigung drängenden Libido und deren Hemmung sein kann (so z.B. im Falle der Angstneurose). Mit der Entwicklung des Instanzenmodells kommt es zu einer neuerlichen Modifizierung der Affekttheorie: der Theorie der Signalangst. Diese hebt den adaptiven Wert des Affekts als Signal an das Ich hervor, eine drohende innere (Trieb) oder äußere (Trauma) Gefahr mit den zur Verfügung stehenden Mitteln (Abwehrmechanismen) abzuwenden. Dieser Signalaspekt des Affekts wird später von der Ichpsychologie auf weitere differenzielle Affekte wie z.B. Traurigkeit, Ekel, Wut oder Schuld ausgedehnt. Ebenfalls von dieser Schule eingehender erforscht wurde das Verhältnis von Affekt und Vorstellung, also von den emotionalen und den eher kognitiv-imaginativen Erlebensweisen, sowie unbewussten Affekten, welche zwar nicht als solche bewusst erlebt werden, sehr wohl aber ätiologisch relevant für psychische und psychosomatische Symptombildungen werden können.
Die Objektbeziehungstheorie schließlich hat die interaktive Funktion der Affekte unterstrichen. Affekte spielen nämlich auch eine Rolle in der Anbahnung interpersoneller Beziehungen und der Regulation von Subjekt-Objekt-Interaktionen. Heute setzen sich weitgehend Komponentenmodelle der Affektivität durch, welche das relativ ganzheitliche Affektgeschehen als aus Bestandteilen zusammengesetzt ansehen. Ein solches von sechs Komponenten ausgehendes Affektmodell stammt von Rainer Krause. Es untergliedert das Affektsystem in:
1. Expressive Komponente (mimischer und gestischer Ausdruck des Affekts);
2. Physiologische Komponente (endokrine und neuronale Ebene des Affekts);
3. Motivationale Komponente (Innervation der Skelettmuskulatur);
4. Wahrnehmung - Bewusstes Erleben des Affekts;
5. Sprachliche Benennung des Erlebens;
6. Bewusste Wahrnehmung des Affekts als inneres Bild und als spezifische situative Bedeutung der Welt und der Objekte.
Diese sechs Komponenten entwickeln sich nicht ontogenetisch synchron und sind in mehrfacher Hinsicht störanfällig.
Da Affekte mit höherer Geschwindigkeit operieren als rationale Denkprozesse kann man sie als phylogentisch ältere und ganzheitlichere Bewertung all unserer Erlebnisse verstehen. Sie sind eine besondere Art der Information im Rahmen psychischer Regulationsprozesse wie z.B. Triebansprüchen, zwischenmenschlichen Beziehungen oder Werten. So gesehen lassen sich Affekte am adäquatesten als eine Art Interface verstehen, das die psychische Ebene einschließlich ihrer unterschiedlichen Systembereiche mit der biologischen und der sozialen Ebene vernetzt. Das ist auch der Grund weshalb der Affekttheorie eine Zentralstellung in der gesamten psychoanalytischen Theorie und Therapie zukommt. Die enge wechselseitige Verbindung von Affekt und Kognition hat es mit sich gebracht, dass auch Piagets Ideen zur kognitiven Entwicklung in der Psychoanalyse breit rezipiert und mit der affektiven Entwicklung verbunden wurden.
- Abwehrtheorie
- Kulturpsychoanalyse
- Politische Psychoanalyse
- Ethnopsychoanalyse
- Psychoanalytische Ichpsychologie
Funktion des Ich
''Ich'' bezeichnet jene psychische Strukturinstanz, die mittels des selbstkritischen Denkens (Verstand und Vernunft)und mittels kritisch-rational gesicherter moralischer Prinzipien, Normen, Werte und Weltbild-Elementen realitätsgerecht vermittelt "zwischen den Ansprüchen des Es, des Überich und der sozialen Umwelt mit dem Ziel, psychische und soziale Konflikte konstruktiv aufzulösen (= zum Verschwinden zu bringen)." (Rupert Lay, Vom Sinn des Lebens, 212)
Elemente des Ich
Zu den Elementen des Ichs zählt man zuallererst die Bewusstseinsleistungen des Wahrnehmens, des Denkens und des Gedächtnisses, weil sie dem Ich helfen, seiner spezifischen Aufgabe gerecht zu werden, nämlich realitätsgerecht (konfliktauflösend) zwischen den Ansprüchen aus dem Es, dem Überich und dem Sozial-Außen zu vermitteln, also um psychische und soziale Konflikte konstruktiv zu lösen. Ein Kriterium dafür, ob das Ich realitätsdicht oder realitätsfern an der Entfaltung des Lebens orientiert ist, ist das Freisein von destruktiven Sozial- und Individualkonflikten über längere Zeit und die Fähigkeit des Ich, Konflikte konstruktiv lösen zu können. Weil nur das Ich realitätsgerechtes Handeln zu sichern vermag, heißt das, dass nur das Ich ein wahrhaft menschliches Handeln zu sichern vermag. Diese Teile der Psyche sind keine Produkte des Es wie die Emotionen und Bedürfnisse, weil diese nicht aus dem Es hervorgehen durch den (An)Passungskonflikt zwischen Trieben und sozialisierender Umwelt, sondern weil sie ihre eigene, davon abgehobene spezifische Entwicklung durchlaufen.
Zum Ich zählt man in weiterentwickelten psychoanalytischen Theorien das Ich-Gewissen (die vom Ich kritisch und selbstkritisch geprüften obersten handlungsleitenden moralischen Prinzipien, Werte und moralischen Einzelnormen aus dem Überich und aus den Ansprüchen der sozialen Umwelt) und die kritisch und selbstkritisch geprüften Selbstrepräsentanzen (Vorstellungen über das bzw.) des Selbst.
Entstehung des Ich
Nach den ersten Lebensmonaten erfährt ein Neugeborenes immer deutlicher, dass es von Dingen und anderen Menschen unterschieden ist. Es entwickelt ein erstes Bewusstsein von den eigenen Körpergrenzen und Selbstgefühlen. "In den folgenden vier Lebensjahren lernt ein Kind (vorsprachlich und deshalb auch unbewusst) die Fragen zu beantworten: "Wer bin ich?" - "Was kann ich?" und somit sein Selbstbewusstsein auch inhaltlich zu füllen." (Rupert Lay, Ethik für Wirtschaft und Politik, 68) Um das Es herum wird also eine Zone aufgebaut, die man als frühes Ich bezeichnen kann. Das frühe Ich, das sich wie eine Hülle um das Es legt, wird somit von den frühen Körperrepräsentanzen und den frühen Selbstrepräsentanzen gebildet. Die frühen Körperrepräsentanzen sind die kindlich grundgelegten Bewusstseins- und Gefühlsinhalte über Körperbereiche. Zu den frühen Selbstrepräsentanzen zählen die kindlich grundgelegten Bewusstseins- und Gefühlsinhalte bezüglich der eigenen Person. Sie bestimmen den Sozialcharakter und all unsere später erworbenen Selbstvorstellungen (wer wir sind, was wir fürchten und erhoffen, was wir uns zutrauen...) auf unterschiedliche Weise mit.
Zum frühen Ich zählte Freud auch den sozialisationsgebildeten Charakter eines Menschen: die bewusstseinsfähigen Emotionen und Bedürfnisse, die in Art und Intensität aus den Grundtrieben des Es durch den Sozialisationsprozess geformt worden sind. Dabei bezeichnete Freud die sozialisationsgeformten Emotionen und Bedürfnisse als Triebabkömmlinge des Es im Ich. Das Es mit seinen angeborenen Triebimpulsen wird hier mit einem Baumstamm verglichen, aus dem das frühe Ich als Krone herauswächst. Deswegen nennt Freud diesen Teil des Ichs ein Produkt des Es: er ist aus dem Material des Es (Grundtrieben) entwickelt worden. Man sollte die Emotionen und Bedürfnisse aber unter das Es subsumieren, weil dies begrifflich klarer und weniger verwirrend ist. Man ist vielleicht verführt, die Emotionen und Bedürfnisse zum Ich zu zählen, weil man alles Bewusste mit dem Ich gleichsetzen möchte und die Emotionen und Bedürfnisse ja bewusst werden können. Aber nicht alles Bewusste gehört zum Ich, denn Überichinhalte können bewusst werden. Und nicht alles Unbewusste gehört zum Es, wie die Überichinhalte zeigen. Bei allen drei psychischen Strukturen gibt es Bewusstes, Unbewusstes und Vorbewusstes ( = was bewusst gelernt wurde, aber zu einem unbewussten Habitus wurde wie Autofahren, Fremdsprache...). Zum Beispiel kann ein durch Ich-Einsatz bewusst eingeübtes Handeln automatisiert werden und damit vorbewusst sein. Und was man bewusst erlebt hat, kann im Gedächtnis versinken, es kann vergessen werden und damit unbewusst sein, aber auch wiedererinnert werden.
- Psychoanalytische Objektbeziehungstheorie
- Bindungstheorie
- Psychoanalytische Selbstpsychologie
''Selbst'' bezeichnet die Menge von Vorstellungen über einen selbst und seine Beziehungen zur Umwelt, die das Ich bei der Selbstverwirklichung leiten. Sie nennt man auch Selbstrepräsentanzen.
Dass das Ich realitätsgerecht zwischen den Ansprüchen des Es, des Überich und der sozialen Umwelt zu vermitteln hat, besagt, dass es orientiert ist an seinen eigenen psychischen Fähigkeiten und Möglichkeiten und an den möglichen und realen Gegebenheiten der Naturwelt und der Kulturwelt. Den Wissens-Erwerb über die eigenen psychischen Fähigkeiten und Möglichkeiten und Realitäten und Möglichkeiten von Natur- und Kulturwelt nennt man Selbsterkenntnis: Erkenne dich selbst! (Wahlspruch in der Griechischen Philosophie) Selbsterkenntnis ist also Voraussetzung nahezu jeder glückenden Selbstverwirklichung. "Glück" soll hier jetzt nur ganz allgemein bedeuten, dass ein Mensch am Ende seines Lebens von sich sagen kann, sei Leben sei ihm geglückt: sinnstiftend, produktiv, erfahrungsreich gewesen.
Das Ich benötigt also für seine Vermittlungs-Funktion realitätsgerechte Vorstellungen über sich selbst, die man >Selbst< bzw. >Selbstrepräsentanzen< heißt. Aus den Selbstrepräsentanzen bezieht ein Mensch seine Selbstdefinition, seine psycho-soziale Identität.
Auf den ersten Blick scheint es, dass zwischen dem Ich und dem Selbst kaum Unterschiede bestehen. Der Schein trügt. Denn das Selbst, als die strukturierten Bilder über sich selbst, ist natürlich nicht reflexions- und kritikfähig. Nur das Ich mit seinen Funktionen des Wahrnehmens, Denkens und des Gedächtnisses vermag zu reflektieren und selbstkritisch zu sein. Die Ausbildung eines kritischen Selbst ist eine der Hauptfunktionen des Ich.
Ein Selbst kann man dann kritisch nennen bzw. die Selbstrepräsentanzen sind dann vom Ich kritisch erfasst und ausgebildet worden, wenn sie die Grenzen des Selbst (der Person) zureichend realistisch erfassen und dem Bewusstsein widerspiegeln. Dass man sich realistisch wahrnimmt, setzt Selbsterkenntnis voraus. Selbsterkenntnis ist die oft demütigende und schmerzhafte Erkenntnis der realen Grenzen des Selbst. Schmerzhaft ist diese Erkenntnis, weil wir uns alle gerne ungefährdeter, bedeutender, sicherer... sehen, als wir in Wahrheit sind. Diesen Sachverhalt bezeichnet man als Narzissmus. Erwachsene sollten ein realistisches Bild von sich haben - am besten eines, das ihrer Realität am nächsten kommt. Und sie sollten sich lieben und annehmen lernen so wie sie sind - und nicht, wie ein unrealistische Überich-Ichideal sie gerne hätte. Und sie sollten sich nicht kleiner sehen, als es ihren Möglichkeiten entspricht, sonst können sie nicht der werden, der sie sein könnten und sein sollten.
"Werde, der du bist (= von deinen Fähigkeiten und Möglichkeiten her, von deinen Wesens-Anlagen her und Wesens-Möglichkeiten her) ist zunächst scheinbar ein Anspruch, der von der erzieherischen Umwelt her einer Person angetragen werden und durch Belohnungs- und Bestrafungsmechanismen ins Überich hineinsozialisiert werden. Aber es ist auch ein mehr oder weniger unbewusster Anspruch aus dem Es: Der psychosomatische Bewegungsdrang, der Neugierdrang (Wahrnehmungsinteresse) und Bestätigungs-Drang (Primär-Narzissmus) führen unbewusst, also wie automatisch, dazu, sich zu erproben, zu behaupten und Probleme lösen zu wollen. Das Ich muss jedoch die Handlungsimpulse und Handlungsansprüche aus dem Es, dem Überich und aus der sozialen Umwelt kritisch und vor allem selbstkritisch prüfen und dann handlungsleitend einsetzen, so dass man sagen kann: "Werde, der du bist" ist ein Anspruch des ichfunktional gebildeten Gewissens.
Die Herausbildung des Selbst ist ein Vorgang der Kompromissbildung, insofern das Ich bei der Selbstverwirklichung zwischen den Ansprüchen des Es, des Überich und des Sozialaußen vermittelt. Das optimale Ziel der Kompromissbildung ist die Findung eines stabilen, d.h. konfliktfähigen Selbst: eines Selbst, das menschliches Handeln in einem konflikthaftend Leben lebensentfaltend (konfliktauflösend und konfliktminimierend) zu organisieren vermag. Diese Kompromissbildung des Selbst ist mitunter ein schwer zu lösendes Lebensproblem. Die Frage 'Wer bin ich' stellt sich oft manifest als Sinnkrise, wenn man nicht mehr sinnvoll sagen kann, warum man sich weiter abmühen soll, ob das, was man bisher glaubte, sinnvoll ist, wahr ist..., wenn man sich selbst zu einem unauslotbaren Abgrund wird.
- Jacques Lacan und die Strukturale Psychoanalyse
- Neopsychoanalyse und Interpersonelle Psychoanalyse
- Relationale und Intersubjektive Psychoanalyse
- Neuropsychoanalyse
Methoden der therapeutischen Psychoanalyse
Freud, Breuer und Hypnose
Mit dem 14 Jahre älteren Wiener Familienarzt Josef Breuer wandte Freud in seiner 1886 eröffneten nervenärztlichen Praxis neben Elektrotherapie auch Hypnose an. Das war für ihn eine Brücke zum Unbewussten, die Verdrängtes und Vergessenes als Ursache für spätere Störungen zugänglich machten sollte. Breuer ruft Freud 1892 zu einem Fall, der unter dem Pseudonym Anna O. (Bertha Pappenheim) in die Annalen der Psychoanalyse eingehen sollte: Eine Patientin, die bis dahin einen völlig geschlechtslosen Eindruck auf die beiden Ärzte gemacht hatte, zeigte alle Symptome eines (hysterischen) Geburtsvorgangs, worauf Breuer, erschreckt, fluchtartig das Haus verlässt. Freud unter dem Eindruck dieser Behandlung: "So wurde ich dazu geführt, die Neurosen ganz allgemein als Störungen der Sexualfunktion zu erkennen und zwar die so genannten Aktualneurosen als direkten toxischen Ausdruck, die Psychoneurosen als psychischen Ausdruck dieser Störungen."
Entwicklung der Psychoanalyse aus der Hypnose:
- Hypnose mit Zielsuggestionen (mit hypnotischem Auftrag)(1887 1950, Briefe an Fließ, Brief Nr. 2. In Aus den Anfängen der Psychoanalyse
- Hypnose mit dem analytischen Ansatz: Das Wachrufen von Erinnerungen mit Katharsis (1889).
- Hypnose mit Einsicht durch Interpretation (1892).
- Freie Assoziation und Traumdeutung mit Einsicht durch Interpretation und Analyse von Übertragung und Widerstand (1912). (nach Frank & Frank, 1977, S. 63).
Die Hypnose als Behandlungsform wurde aber aus folgenden Gründen nach und nach aufgegeben:
- Nur ein Teil der Menschen ist hypnotisierbar.
- Heilungserfolge waren begrenzt.
- Traumatisierende Erfahrungen, die unter Hypnose zugänglich waren, konnten von den Patienten außerhalb der Hypnose nicht wiederbelebt werden.
Allgemeine Einleitung
Generell geht die Psychoanalyse davon aus, dass schwere, unverarbeitbare Erfahrungen in der Kindheit verdrängt werden müssen, weil die kindliche Persönlichkeit anderenfalls darunter zusammenbrechen würde. Kein Kind kann zum Beispiel längere Zeit ertragen, von Elternteilen nicht geliebt oder gar teilweise gehasst zu werden. Die Psychoanalyse verspricht sich Heilung von der Bewusstmachung des Verdrängten, oder wie Freud es ausdrückte: "Wo Es war, soll Ich werden." Verdrängte Erfahrungen sind einer Bearbeitung und Verarbeitung durch das Bewusstsein entzogen und können nicht in die Persönlichkeit integriert werden. Dies soll in der Analyse allmählich und unter gleichzeitigem persönlichen Wachstum und persönlichem Erstarken, unterstützt von der menschlichen Hilfe der Analytiker, nachgeholt werden. Teilweise muss Trauerarbeit nachgeholt werden, alte Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster müssen, nachdem sie als Teil der persönlichen Geschichte erkannt wurden, durch neue ersetzt oder ergänzt werden. Teilweise heilt die Psychoanalyse auch dadurch, dass in der Beziehung zum Analytiker neue, korrigierende Erfahrungen gemacht werden, zum Beispiel, in dem in der Analyse zum ersten Mal die Erfahrung einer konstanten, unverbrüchlichen und haltgebenden zwischenmenschlichen Beziehung gemacht wird. Oder an der Person des Analytikers wird erlebt, dass verselbständigende und Abgrenzungs-Tendenzen keine negativen Reaktionen nach sich ziehen. Oder, dass die Person des Psychoanalytikers jemanden darstellt, der mit erotischen Anteilen einer Beziehung umgehen kann usw.
Unverarbeitete Anteile einer Lebensgeschichte oder Defizite an Nähe und Wärme schränken die Persönlichkeit ein und/oder führen zu unangemessenen Verhaltensmustern. Oft kommt es auch zu dem so genannten Wiederholungszwang. Freud erkannte, dass wir manche für uns kritischen und unverarbeitbaren Situationen unbewusst immer wieder herstellen (inszenieren), in der gleichfalls unbewussten Hoffnung, dieses Problem doch noch zu lösen. So sucht sich eine Frau, die als Kind unter ihrem kalten, unnahbaren Vater gelitten hat, oft wieder unbewusst eine solchen Ehemann aus und wiederholt mit ihm die alten Kämpfe und Konflikte. Manchmal projiziert sie auch nur diese Merkmale auf ihren Mann und bringt ihn auf unterschwellige Weise dazu, sich so uneinfühlsam wie früher ihr Vater ihr gegenüber zu verhalten. Oft ergänzen sich solche Muster bei Paaren auch auf unheilvolle Weise und führen zu einer Dynamik, aus der die Paare alleine nicht mehr herausfinden.
Eine andere Möglichkeit, wie sich solche Erfahrungen niederschlagen können, sind zum Beispiel Depressionen. Im Verständnis der Psychoanalyse sind Depressionen das Ergebnis von Beziehungsverlusten oder Beziehungsabbrüchen in der Kindheit, die aber nicht in der Schwere des Verlusts gefühlt und betrauert werden konnten, d. h. mit anderen Worten partiell geleugnet werden. Das kann zum Beispiel bei der Geburt eines jüngeren Geschwisters passiert sein, wenn sich die Eltern teilweise oder ganz von dem älteren Kind abwendeten, und niemand Augen für dessen Trauer und Wut hatte und ihm durch Verständnis und Zuwendung half, diese Situation zu verarbeiten. Manchmal können solche Depressionen auch erst aufbrechen, nachdem in der gegenwärtigen Lebenssituation ein Verlust durchzumachen war, bei dem unbewusst wieder die "alte Wunde" aufbrach.
Das Setting
Die sog. klassische Psychoanalyse findet im Liegen statt, wobei der Analytiker außerhalb des Blickfeldes seines Analysanden sitzt. (Bei anderen Formen, z.B. der Fokaltherapie, sitzen sich beide gegenüber.) Der Grundgedanke der Psychoanalyse ist, dass der Analytiker als Persönlichkeit möglichst im Hintergrund bleibt, quasi eine weiße Wand, auf die der Patient alle seine frühen Beziehungspersonen, wie Vater, Mutter und Geschwister projizieren kann. Das macht der Patient in der Regel nicht absichtlich oder freiwillig, sondern unbewusst und automatisch. So erscheint der Analytiker zum Beispiel einmal unkonzentriert und wird dadurch zum Vater, der einem nie zugehört hat und sowieso kein Interesse an einem hatte. Die ursprüngliche Wut gegen den Vater richtet sich nun gegen den Analytiker(-Vater) und kann so vielleicht zum ersten Mal wirklich erlebt und gefühlt werden, weil die bedrohliche Aggressivität des tatsächlichen Vaters dies früher eventuell unmöglich gemacht hat. Ein anderes Beispiel wäre, dass dadurch, dass der Analytiker auf pünktlichem Stundenende besteht, er als versagende Mutter erlebt wird. Oder der Patient erlebt stürmische Verliebtheit in seinen Analytiker, was eine ödipale Situation wiederbelebt usw. Diesen Vorgang der Verschiebung auf den Analytiker nennt die Psychoanalyse Übertragung.
Übertragung
Den Vorgang des Hineinlegens früher Beziehungspartner und früher Beziehungserfahrungen in den Analytiker nannte Freud die ''Übertragung''. Diese Übertragung ist zentraler Baustein einer jeden Analyse und wichtiger Bestandteil der Beziehung zwischen Analytiker und Analysand. Ein Beispiel: es können möglicherweise bei einem Analysanden frühe Erfahrungen der Geschwisterrivalität wiedererweckt werden durch einen weiteren Patienten, dem er im Wartezimmer begegnet oder der angesichts eines bevorstehenden Stundenendes gar ungeduldig an die Tür des Behandlungszimmers klopft und so die Stunde des Analysanden stört. Der Mitpatient wird dann vielleicht als verdrängendes Geschwister und der Analytiker als treuloser Beziehungspartner erlebt. Das kann sich zum Beispiel in heftigen Angriffen gegen den Analytiker äußern, der solchem Verhalten von Seiten des Mitpatienten nicht in ausreichendem Maße einen Riegel vorschiebe usw. Solche und generell Alltagssituationen, die in den Stunden besprochen werden, erlauben es oft, frühe Erfahrungen in Zusammenarbeit mit dem Analytiker wiederzubeleben und neu zu verarbeiten.
Man unterscheidet positive und negative Übertragung. Bei der positiven Übertragung werden positive Anteile früherer Beziehungen auf den Analytiker projiziert, bei der negativen Übertragung negative Anteile.
Die Gefühle und Vorstellungen, die der Analytiker wiederum als Reaktion auf das Verhalten der Patienten bekommt, nennt man die ''Gegenübertragung'' des Analytikers. In unserem Beispiel kann sich unser Analytiker vielleicht einen Moment lang völlig unzulänglich, nachlässig und treulos fühlen, so wie der Patient früher seine Eltern erlebt hat. Der Analytiker sollte in seiner eigenen Analyse bzw. Lehranalyse gelernt haben, eigene Gefühle und Vorstellungen von durch Patienten erzeugten Gefühlen und Vorstellungen zu unterscheiden, um angemessen damit umgehen zu können, statt mit dem Patienten unbewusst mitzuagieren.
Wenn der Patient im Analytiker aktuell vor allem Züge von sich selbst sieht, spricht man von einer Spiegelübertragung.
Von komplementärer Gegenübertragung spricht man, wenn der Analytiker sich in der Rolle des früheren Beziehungspartners des Analysanden wahrnimmt, zum Beispiel in der Vater- oder Mutterrolle.
Von konkordanter Gegenübertragung oder Spiegelgegenübertragung spricht man, wenn in einer Therapiesituation sich der Therapeut mit der Rolle und dem Erleben des Patienten identifiziert, sich in diesen hineinversetzt und das Erleben des Patienten nachempfindet wie es tatsächlich ist. Somit hat die Gegenübertragung eine wichtige therapeutische Bedeutung. Sie ist heute eine wichtige Quelle für Informationen über die früheren und heutigen Beziehungskonstellationen des Patienten in der objektbeziehungstheoretischen Schule und der selbstpsychologischen Schule. Dort wird sie auch als Grundlage für echte Empathie angesehen.
Das freie Assoziieren
Die psychoanalytische Grundregel und das freie Assoziieren:
Freud hat eine so genannte Grundregel aufgestellt, die dem Patienten zu Beginn der Behandlung mitgeteilt werden soll, nämlich, dass er alles, was ihm in den Stunden einfällt, mitteilen soll, auch wenn er es für bedeutungslos hält oder sich seiner Gedanken schämt. Er solle seine Gedanken nicht hemmen, sondern ihnen freien Lauf in jedwede Richtung lassen, was Freud das freie Assoziieren nannte. Freud nahm an, dass sich in dieser Form verkleidetes, unbewusstes Material äußere, und man es so für die Behandlung nutzbar machen könne. Da unbewusste Inhalte zunächst einmal als bedrohlich, peinlich oder schmerzhaft empfunden werden, setzt das Unbewusste des Patienten dem Aufdecken dieser Inhalte einen Widerstand entgegen, ein weiterer wichtiger Begriff in der Psychoanalyse. Der Therapeut geht zu Beginn der Behandlung mit dem Patienten ein so genanntes Arbeitsbündnis ein, d.h. der Patient stellt seinen Wunsch zur Gesundung, seine gesunden Persönlichkeitsanteile und seine Kooperationsbereitschaft mit dem Analytiker in den Dienst der gemeinsamen Aufgabe. Überspitzt gesagt, wird das Verdrängte von Patient und Therapeut als "unbekannte Landschaft" angesehen, die man mit vereinten Kräften gemeinsam entdeckt. Gerade die gemeinsame Beziehung wird aber durch unbewusste Konflikte immer wieder gefährdet, deshalb ist die Allianz zwischen Patient und Therapeut immer nur teilweise verlässlich und gleichzeitig ist diese Beziehung der Punkt, wo die Werkzeuge der Psychoanalyse wirksam angesetzt werden können, und wo exemplarisch die ursprünglichen Konflikte aufgearbeitet werden können.
Das Übertragen alter Konflikte auf die therapeutische Beziehung nennt man, bezogen auf einzelne Störungen, auch die Übertragungsneurosen, d.h. die Lebensneurosen werden in der Behandlung zu Übertragungsneurosen. So können sich manchmal schon durch diesen Prozess Alltagsbefindlichkeiten verbessern, weil der Druck der Störung aus dem Alltag etwas herausgehalten werden kann und stattdessen seinen Raum in der Beziehung zum Therapeuten findet. Das Problem ist mit diesem ersten Schritt aber keinesfalls schon gelöst.
Bedeutung
Die Psychoanalyse als Therapie und klinische Theorie spielt an Universitäten hauptsächlich im Bereich der Psychosomatischen Medizin, auch noch der Psychiatrie und in geringem Ausmaß der Klinischen Psychologie eine Rolle. Rezipiert wird sie als Theorie und Methodik noch von Literaturwissenschaft, Soziologie, Philosophie, Pädagogik, Film- und Theaterwissenschaften, Kultur- und Sozialwissenschaften. Aus den interdisziplinären Verbindungen, die sie im Laufe ihrer Geschichte eingegangen ist, sind eine Reihe von fruchtbaren Kooperationen entstanden. So z.B. die Psychoanalytische Pädagogik, die Ethnopsychoanalyse, die Neuropsychoanalyse, die Psychohistorie und die Psychogeographie.
Einige ihrer Termini wie z.B. Verdrängung, Fehlleistung, Unbewusstes, Trauma sind in die Alltagssprache eingegangen, werden aber nur selten in der korrekten Definition des Worts verwendet.
Als Psychotherapiemethode nimmt die Psychoanalyse in der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung der Bevölkerung neben anderen Therapiemethoden eine wichtige Stellung ein. In einigen Ländern wie z.B. der Bundesrepublik Deutschland wird ein begrenztes Kontingent von der Krankenkasse finanziert, während in anderen Ländern wie z.B. Österreich Psychotherapie privat finanziert werden muss. Da unter psychoanalytischer Therapie häufig fälschlicherweise noch immer einzig und allein die hochfrequente und langandauernde Therapie im Couchsetting verstanden wird, muss der Vollständigkeit halber hier erwähnt werden, dass solche klassischen Psychoanalysen nur einen geringen Prozentsatz aller durchgeführten psychoanalytischen Therapien ausmachen und in den meisten Fällen in einem niederfrequenten Setting mittlerer Dauer oder mit einer psychoanalytischen Kurzzeittherapie gearbeitet wird.
Außerdem haben sich die Beratungsformen der Supervision aus der lehranalytischen Praxis entwickelt. Ruth Cohn übertrug die analytische Arbeit auf Gruppen und entwickelte die Themenzentrierte Interaktion. Abgesehen davon hat die psychoanalytische Theorie und Therapie einen Einfluss auf die Entwicklung vieler weiterer Psychotherapiemethoden ausgeübt. Darunter die Transaktionsanalyse, die Katathym-imaginative Therapie und die Existenzanalyse. Darüberhinaus hatten Psychoanalytiker als Lehrmeister auch einen Einfluss auf Begründer von Psychotherapiemethoden, die sich stärker von der Psychoanalyse abgrenzen als die eben genannten. So wurde z.B. Carl Rogers, der Begründer der Klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie,stark vom Psychoanalytiker Otto Rank beeinflusst, und einige Methoden, die heute in der Verhaltenstherapie zum Standardrepertoire gehören, wurden erstmals bereits von Psychoanalytikern der ersten Generation empfohlen. So hat Sigmund Freud (1919a) die Konfrontation mit dem phobischen Objekt für Angstpatienten unumgänglich gehalten und Wilhelm Stekel mit der Technik der Reizüberflutung experimentiert.
Film und Psychoanalyse
Freud als Begründer der Psychoanalyse lehnte es selbst ab, an der Produktion eines Filmes über dieses Thema teilzunehmen. Für ihn war das Medium Film minderwertig in dem Sinne, dass es nur eine Simulation darstellt. Dennoch ist gerade die Verbindung zwischen Traum und Film offensichtlich. Psychoanalytiker wie auch Filmtheoretiker weisen darauf hin, dass es große Ähnlichkeiten zwischen dem Traumzustand und dem Zustand des Film-Schauens gibt. Diese manifestieren sich vor allem durch
- die Flüchtigkeit der Bilder
- den Dämmerzustand sowohl des Schlafens als auch im Kinosaal
- die assoziativen Verknüpfungen der Bilder bzw. Szenen
- die Rolle des Träumenden-Schauenden als Beobachter, der nicht eingreifen kann
Wenn man die Methoden der Psychoanalyse auf den Film anwenden will, so wird der Film gewissermaßen zum Klienten bzw. Patienten; es gilt also, die verschiedenen Ebenen der Bilder, die der Film zeigt, zu durchdringen. Dabei ist es wichtig, nicht den Drehbuchschreiber oder den Regisseur als zu analysierendes Objekt zu sehen, da man nicht davon ausgehen kann, dass die Filmbilder auch dessen Traumbildern entsprechen - egal, wie autobiographisch der Film ist. Vielmehr soll es darum gehen, die Wirkungsweise des Films auf den Zuschauer zu analysieren, die verwendeten Mittel wie Licht, Musik, Bewegung, Großaufnahmen etc. daraufhin zu untersuchen, was sie beim Publikum auslösen und inwiefern sie die Freudschen Urfantasien erfüllen. Dabei spielen Vorgänge wie Identifikation und das unbewusste Verarbeiten Ödipuskomplex|ödipaler oder Narzissmus|narzisstischer Strukturen eine große Rolle. Vor allem Linda Williams geht davon aus, dass Filme nur dann erfolgreich sind, wenn sie die Urfantasien ansprechen, da der Zuschauer dadurch den Film tatsächlich miterlebt und unbewusst auf sich selbst beziehen kann. Maßgeblich ist bei der psychoanalytischen Filmtheorie, dass scheinbar unwichtige oder nebensächliche Details eine weitaus größere Wirkung auf die Psyche des Zuschauers haben, als dieser bewusst erfassen kann. Wichtige Vertreter dieser Filmtheorie sind Mechthild Zeul, Christian Metz, Teresa de Lauretis und Mary Ann Douane. Gemeinhin stützt sich die psychoanalytische Filmtheorie auf die Theorien von Jacques Lacan, etwas seinem Spiegelstadium, da auch in diesem Gebiet Freud mittlerweile z.T. als überholt gilt.
Kritik
Die Psychoanalyse begegnete von Anfang an zahlreicher Kritik. Karl Kraus hielt sie für nutzlos und bezeichnete sie als ''die Krankheit, für deren Heilung sie sich halte''. Die Kirchen hingegen warfen ihr vor allem die Rechtfertigung von Unzucht und Pansexualismus vor; der Experimentalpsychologe A. Gemelli OFM, ehemals Rektor der Katholischen Universität in Mailand und Präsident der Päpstl. Akademie der Wissenschaften, erklärte die Lehre Freuds in der Schrift "Psicoanalisi e Cattolicismo (1950) für den Katholiken als unannehmbar. Auch die Nationalsozialismus|Nationalsozialisten lehnten die Lehren der Freudschen Schule scharf ab und führten gegen die psychoanalytischen Grundannahmen den Begriff des "Adel der Seele" ins Feld. Weil seine Bücher diesen angeblich in den Schmutz zögen, wurden Freuds Bücher am 10. Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz von nationalsozialistischen Studenten anläßlich der Kundgebung der Deutschen Studentenschaft "wider den undeutschen Geist" öffentlich Bücherverbrennung|verbrannt (begleitet von dem "Feuerspruch": "Gegen seelenzerfasernde Überschätzung des Trieblebens, für den Adel der menschlichen Seele! Ich übergebe der Flamme die Schriften des Sigmund Freud").
Kritiker aus der Wissenschaft werfen der Psychoanalyse vor, ein Empirie|empirischer Nachweis der Grundannahmen Freuds sei nie erfolgt: Weder für die Existenz des Ödipuskomplexes noch des Penisneids gebe es zufriedenstellende Belege, ebensowenig für die Sinnhaftigkeit von Äußerungen des Unbewussten (freudsche Fehlleistung, Traumdeutung, Neurose), für die Lehre von der psychischen Energie oder für die Existenz der drei psychischen Instanzen, auf denen die Psychoanalyse beruht. Freuds Theoriebildung basiere kaum oder gar nicht auf quantitativer und experimenteller Forschung, sondern auf Intuition|intuitiv, impressionistisch oder Induktionslogik|induzierend aus den einzelnen Erfahrungen, die er mit seinen (nach Empirie-Maßstäben vergleichsweise wenigen) Patienten in seiner Praxis gemacht hätte. Eine Zusammenfassung der Argumente der empiristischen Kritiker wurden 1986 polemisch in Tiefenschwindel - Die endlose und die beendbare Psychoanalyse des Literaturwissenschaftlers Dieter E. Zimmer zur Sprache gebracht, was jedoch widerum als überspitzt kritisiert wurde. Behaviorismus|Behavioristische Wissenschaftler wie Hans Eysenck gehen dagegen weniger von der Nichtexistenz sämtlicher mentaler Prozesse als von deren Unerkennbarkeit aus und werfen der Psychoanalyse vor, sie behindere mit ihren zum Teil mehrjährigen Langzeittherapien eher die Spontanheilung psychischer Erkrankungen, als dass sie dabei helfe (Eysenck 1952). Später revidierte Eysenck diese Ansicht mit dem Hinweis, dass der Nachweis seinerzeit noch nicht erbracht worden sei (1993).
Auf erkenntnistheoretischer Ebene wurde die Psychoanalyse von dem Epistemologie|Wissenschaftstheoretiker Karl Raimund Popper kritisiert, der den kritischer Rationalismus|kritischen Rationalismus begründete und darin den heute im akademischen Feld stark favorisierten Standpunkt vertrat, ein entscheidendes Kriterium für Wissenschaftlichkeit sei die prinzipielle Falsifizierbarkeit. Er warf der Psychoanalyse vor, sie sei als Ganzes unwissenschaftlich, da bei den psychoanalytischen Deutungshandlungen eine solche prinzipielle Falsifizierbarkeit nicht gegeben sei: Wenn Freud z. B. erklärt, dass der Traum einer jungverheirateten Frau von einem halbleeren Theater den latenten Wunsch zum Inhalt habe, sie hätte besser nicht so früh (und wohl auch nicht denjenigen) geheiratet, dann gebe es keine Möglichkeit mehr, sich gegen diese Deutung zu wehren ? hätte die junge Frau widersprochen, wäre ihr das als Widerstand und somit als Indiz dafür ausgelegt worden, dass die Deutung stark libidinös besetzt sei und daher erst recht richtig sein müsse. Es bestehen also keine Möglichkeiten, unter denen Freud hätte zugeben müssen, dass seine vorgeschlagene Deutung falsch sei. Mit dieser Begründung wird der Psychoanalyse vorgeworfen, eine sich selbst abdichtende Weltanschauung oder eine Pseudowissenschaft zu sein.
Modernere wissenschaftstheoretische Paradigmen, wie der wissenschaftstheoretischer Strukturalismus stehen der Möglichkeit der Falsifizierung von theoretischen Überlegungen (=Basisgesetzen) grundsätzlich, d. h. auch in den "exakten" Wissenschaften wie der Experimentalphysik, skeptisch gegenüber. Im Lichte dieser Erkenntnisse relativiert sich die Kritik des Popperschen Falsifikationismus an der Psychoanalyse.
Neuere, wenngleich umstrittene Metastudien zur Therapiewirkungsforschung schließlich kommen zu dem Ergebnis, dass tiefenpsychologisch orientierte Formen der Kurzzeittherapie keinen höheren Nutzen haben als andere, z. B. verhaltenstherapeutisch fundierte, obwohl sich die theoretischen Grundannahmen beider Formen diametral Satz vom ausgeschlossenen widersprächen. Daraus ließe sich der Schluss ziehen, dass es nicht so sehr darauf ankomme, welche Therapie ein Leidender nun mache, als dass sich jemand ihm zuwendet und sein Leiden in einen sinnvoll erscheinenden Zusammenhang einfügt. Mit dieser Erklärung wären sämtliche Annahmen der Psychoanalyse (Traum, Trauma, Triebschicksal usw.) nur fiktive und beliebige Konstruktionen, die eine solche zugewandte und sinnstiftende Beziehung ermöglichen.
Weitere Kritik stammt aus anderen tiefenpsychologischen Schulen. So kritisiert die Analytische Psychologie nach Carl Gustav Jung die Libidotheorie der Psychoanalyse sowie viele spezielle Annahmen und Methoden der Psychoanalyse.
Carl Rogers und die Klientenzentrierte Psychotherapie kritisierten vor allem, dass durch die Methode der Deutung die 'Selbstverwirklichung' des Individuums behindert werden würde.
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