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Integrative Psychotherapie
Integrative und allgemeine Psychotherapie
- Der schulen- und methodenübergreifende Ansatz
Die Entwicklung der Psychotherapie hat - Bezugszeitraum 2000 - in den letzten 30 Jahren dazu geführt, dass immer mehr psychologisch-psychotherapeutische Methoden, Techniken und Therapieprogramme erkannt, ausgearbeitet und geprüft werden. Gott sei Dank müssen wir nicht ständig das Therapierad neu erfinden, sondern wir können und dürfen uns eines inzwischen mächtigen Werkzeugkastens bedienen, auf den natürlich alle Rat- und Hilfesuchenden einen Anspruch haben.
Die meisten PsychotherapeutInnen haben Mehrfachweiterbildungen, arbeiten sehr vielseitig und setzen eine Vielzahl von Methoden ein, von denen sie denken, dass sie für ihre KlientInnen und PatientInnen am besten passen und sowohl schonend als auch sehr wirkungsvoll sind. Diese Methoden können im integrativen Verständnis nicht von Anfang an festliegen, sondern müssen vor allem in der Anfangsphase der Therapie herausgefunden werden. Je nach Therapiezielen, Therapiephase und Fortschritten werden mehr im Mittelpunkt stehen:
- Klärungen von (Zwischen-) Therapiezielen, von (lebensleitenden) Werten und Idealen;
- Empfinden, Fühlen, Spüren und Erleben oder die körperliche Seite;
- Klären und Verstehen der persönlichen Entwicklung (Methode: Anamnese und Durcharbeiten der Vergangenheit und Gegenwart);
- Analyse, Klären und Verstehen eines besonderen Problems, Symptoms oder Störungsbildes, Zusammenhänge erkennen;
- Entwickeln eines Problemlösungs- oder Therapieplanes;
- Aufbau und Erwerb, Entfaltung und Verbesserung von Können, Fähigkeiten und Fertigkeiten (Kompetenzen);
- Entwickeln schlummernder Möglichkeiten (Anlagen, Begabungen, Talente) und Förderung der Stärken, des Geglückten und Positiven ("Ressourcenaktivierung")
- Überprüfung des Erfolges der bisherigen Methoden (therapiebegleitende Evaluation)
Die integrative und allgemeine Psychotherapie geht davon aus, dass die individuelle Einmaligkeit eines Menschen und seiner Lebenssituation es erfordern, dass man in jedem Einzelfall einen individuellen, maßgeschneiderten Therapieansatz entwickelt, der auch flexibel an den Therapiefortschritt angepasst und verändert wird. Der Realitätsrahmen (Zeit, Mittel, Rahmenbedingungen) müssen ebenso berücksichtigt werden, wie der ganze Mensch: Körper, Geist, Seele, in seiner Umwelt. Wichtige Bezugspersonen werden - soweit gewünscht, hilfreich und bereit - einbezogen.
Es gibt viele Ansätze und Varianten integrativer und allgemeiner Therapie. Auch die Psychotherapieschulen haben sich hier weiter entwickelt. Viele "Integrative" arbeiten auf dem Hintergrund einer Therapierichtung: die einen mehr analytisch, die anderen mehr humanistisch, verhaltenstherapeutisch oder systemisch orientiert. Ob der jeweilige Ansatz für Sie der richtige ist, muss in einem persönlichen Kennenlerngespräch (Erstgespräch, Informationstermin) herausgefunden werden, wo Sie sich das integrative Therapiekonzept näher erläutern lassen und vor allem herausfinden sollten, ob Sie Vertrauen haben können und eine tragfähige Arbeitsbeziehung erwartet werden kann. Günstig ist es, wenn Sie ein bisschen Veränderungsbereitschaft und ein bisschen Mut (= trotz Angst handeln, ohne ist es ja keine Kunst) mitbringen. In der Psychotherapie spielt Selbstverantwortung eine wichtige Rolle: Therapie kann nur gemeinsam gelingen. Wichtig ist, dass in der Therapiestunde Erarbeitetes in den "restlichen" 167 Stunden der Woche angewendet, erprobt oder umgesetzt wird.
Geschichte der allgemeinen und integrativen Psychotherapie
Vor Freud war fast die gesamte Psychiatrie und die damals in ihr enthaltene Psychotherapie - von Freud und seinen Nachfolgern ignoriert(6) und verdrängt - allgemein, differentiell, eklektisch, integrativ und Schulen- und methodenübergreifend ("ADEIS"), was auch die vielen psychologisch-psychopathologischen Magazine(L1 FN7) ab 1780 belegen.
Damals begann die empirische Psychologie sich zu entwickeln. Die ersten Messungen zu den Nachempfindungen wurden von Nikolaus Tetens(L1 FN8) (vermutlich um 1770) berichtet und C. C. E. Schmid(L1 FN9) erkannte bereits 1791 - bald 200 Jahre vor der systemischen Bewegung -, dass der menschliche Leib zum Beispiel ein organisiertes und ein sich selbst organisierendes Wesen ist. Und bereits 1751 hatte Johann Christian Bolten, Arzt in Halle, festgestellt, dass die Grundlage jeder Psychotherapie auf der gründlichen Kenntnis der Psychologie beruht.
Das erste große und systematische Werk zur allgemeinen und integrativen Psychotherapie wurde 1803 von Johann Christian Reil verfasst. J. A. C. Heinroth (1773-1843), der 1811 in Leipzig den ersten Lehrstuhl für psychische Therapie bekam, hat bereits 1818 in seinem Lehrbuch der psychischen Störungen die große Bedeutung der Heuristik (L1 FN10) im heilkundlichen Handeln erkannt. Behandeln ist nach Heinroth ein heuristisches "Geschäft". Selbst der als Begründer der naturwissenschaftlichen Psychiatrie geltende Wilhelm Griesinger (1817-1868) schrieb in seiner Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten von 1861 im § 205 (S. 471): "Zunächst auch von der Thatsache des empirisch constatirten Erfolges ist auszugehen, indem für die psychische und somatische Heilmethode eine absolut gleiche Berechtigung in Anspruch genommen wird." Griesinger scheute sich auch nicht, das Wort Eklektizismus in den Mund zu nehmen und für eine "ecclectische Concession beider Partheien" (S. 471) einzutreten, wie vor ihm schon in Erlangen Leupoldt in seinem Lehrbuch von 1837 (S. 27). 1897 legt Leopold Löwenfeld, der in den 1870er Jahren ein paar Jahre in den USA weilte, sein Lehrbuch der gesamten Psychotherapie vor.
Es folgt kein Geringerer als Hugo Münsterberg 1909 mit seiner Psychotherapy und 1914 mit einem entsprechenden Abschnitt in Grundzüge der Psychotechnik. Auch Dornblüth, der Begründer des klinischen Wörterbuchs, heute bekannt unter Pschyrembel, schrieb 1911 eine allgemeine Psychotherapie. 1936 erscheint Saul Rosenzweigs Arbeit Some Implicit Common Factors mit dem berühmten statement: "At last the Dodo said, 'Everybody has won, and all must have prices." Schon 1940(L1 FN11) gab es erste Bemühungen der verschiedenen Psychotherapierichtungen, sich an einen Tisch zu setzen (hierzu ein Reader in Sponsel 1995, S. 587f), unter anderen unter Mitwirkung von Carl R. Rogers - damals völlig unbekannt, heute weltberühmt - und dem der Psychoanalyse nahestehenden Psychotherapieforscher Saul Rosenzweig, der von Freud so peinlich und unangemessen brüskiert wurde. Noch weiter zurück bis ins Jahr 1910 reicht der Zweig der Psychosynthese (L1 FN12), die Roberto Assagioli erstmals in seiner kritischen Dissertation zu Freud skizzierte. Der SEPI-Historiker Arkowitz rechnet noch Kubie (1934), Sears (1944), Shoben (1948,49) zu den frühen Ansätzen (im 20. Jahrhundert!). 1950 erscheint dann die berühmte Arbeit von Dollard & Miller Personality and Psychotherapy: An Analysis in Terms of Learning, Thinking and Culture. Auch um etwa diese Zeit beginnt Thorne mit seinen Veröffentlichungen. J. D. Frank bringt 1961 (deutsch 1981) seine bahnbrechende Arbeit zu den allgemeinen Heilwirkfaktoren vom Schamanismus bis zur modernen Psychotherapie heraus. Lazarus beginnt seine Entwicklung des technischen Eklektizismus und der mulitmodalen Therapie nach eigenen Angaben circa 1967. Von der humanistischen Psychotherapie her entwickelt Hilarion Petzold in Deutschland ab den 70er Jahren sein großes und anhaltenden Werk: ab 1975 - im gleichen Jahr veröffentlicht Bastine einen wichtigen Artikel in Psychologie Heute - erscheint erstmals die Zeitschrift Integrative Therapie; sein dreibändiges theoretisches Hauptwerk erscheint 1993. 1967 erscheint Neissers Buch zur berühmten kognitiven Wende, die aber im Psychotherapiebereich von Ellis schon 1956 (veröffentlicht 1962) vorweggenommen war. Im gleichen Jahr erscheint Systems of Psychotherapy: A comparative study von Ford & Urban. 1977 erscheint
P. Wachtels Buch Psychoanalyse und Verhaltenstherapie: Ein Plädoyer für ihre Integration.
Ein besonderes Jahr wurde 1979 als Renaud van Quekelberghe das erste moderne und grundlegende Werk zur Allgemeinen und Integrativen Psychotherapie vorlegte (1977 geschrieben): Systematik der Psychotherapie, womit die theoretischen Grundlagen für den schulen- und methodenübergreifenden Klinischen Psychotherapeutin BDP(L1 FN13) geschaffen wurden.
Die Konzeption der schulen- und methodenübergreifenden Psychotherapie spielte in der Zertifizierung durch den Berufsverband deutscher Psychologinnen und Psychologinnen für den klinischen Psychotherapeutin auch eine wichtige und zentrale Rolle (L1 FN14).
1980 (deutsch 1982) erschien Garfields Psychotherapie: Ein eklektischer Ansatz. Nun ging es rasant weiter und es entstanden in den 70er und 80er Jahren die ersten internationalen "ADEIS"-Organisationen:
Die International Academy of Eclectic Psychotherapists (IAEP(L1 FN15), in der beispielsweise auch Ellis Mitglied ist, hat sich 1982 gegründet und veranstaltet seither Weiterbildungen, (auch internationale Welt-) Kongresse und gibt eine Zeitschrift (JIEP) heraus.
Die Society for Exploration of Psychotherapy Integration (SEPI) wurde 1983 gegründet und seither werden regelmäßig Weiterbildungen in vielen Ländern der Welt durchgeführt und in der Zeitschrift "Journal of Psychotherapy Integration" dokumentiert. Ihr gehören derzeit etwa 900 Mitglieder, unter anderen auch viele prominente PsychotherapeutInnen und PsychotherapieforscherInnen an (zum Beispiel Lazarus, Beck, Mahoney, Wachtel, Garfield). Die SEPI versteht sich als eine Einrichtung, die das Gespräch zwischen den Schulen und schulenübergreifende Entwicklungen fördert.
Aus dem Academy und SEPI Umfeld erscheinen viele Aufsätze und Bücher (beispielsweise Norcross 1986, 1987; Norcross & Goldfried 1992; Stricker & Gold 1993) zur allgemeinen, differentiellen, eklektischen, integrativen und schulen- und methodenübergreifenden Psychotherapie, die aber den grundlegenden und allgemeinen Ansatz von van Quekelberghes Werk nicht wieder erreichen.
Am 18. November 1993 benannte sich die DGGK (Deutsche Gesellschaft für Gestalttherapie und Kreativitätsförderung) nach 20 Jahren in DGIK (Deutsche Gesellschaft für integrative Therapie, Gestalttherapie und Kreativitätsförderung e. V.) um (circa 700 Mitglieder). Zahlreiche Veröffentlichungen zur Theorie und Praxis der integrativen Therapie sind erschienen, nicht nur im zugehörigen Junfermann-Verlag.
Der Lehrstuhl Grawe in Bern betreibt seit 1992, inzwischen mit jährlichem Beginn, eine allgemeine Psychotherapieausbildung. Im inzwischen wohl berühmt-berüchtigten Buch "Psychotherapie im Wandel" (L1 FN16) heißt es auf S. 787:
"Wir sind der Überzeugung, dass es schon heute möglich ist, in Psychotherapieausbildungen und in der Psychotherapiepraxis eine Annäherung an eine solche Allgemeine Psychotherapie zu verwirklichen. Wir müssen damit nicht warten, bis ein noch besser ausgearbeitetes und besser empirisch überprüftes Konzept vorliegt."
Inzwischen haben sich zwei vormals verhaltenstherapeutische Ausbildungsinstitute (München und Bamberg) in CIP, Centrum für integrative Psychotherapie umbenannt und bilden auch "integrativ" aus, allerdings mit verhaltenstherapeutischem Schwerpunkt und entsprechender Orientierung.
Die Schweizer Gruppe Blaser, Heim, Ringer und Thommen legte nach achtjähriger Arbeit 1992 ihr eklektisch-integratives Werk einer effektiven Kurzzeitpsychotherapie vor, das in der Berner psychiatrischen Universitätspoliklinik entwickelt wurde. Dort wird auch ausgebildet. In Freiburg (Deutschland) bildet Kollegin Schramm unter Prof. Berger in IPT (Klerman & Weissman) aus und Berger selbst bildet ebenfalls integrativ, einschließlich Psychoanalyse und Verhaltenstherapie, aus. Die MedizinerInnen sind überhaupt dabei, sehr stark integrativ auszubilden und damit in Richtlinienverfahren Doppelqualifikationen zu erwerben.
Sponsel (1995) hat in seinem Buch rund 800 Arbeiten (von geschätzten 1000) zur allgemeinen und integrativen Therapie recherchiert und dokumentiert.
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