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Besessenheit
Neutralität
Die Bessenheit bezeichnet einen ausgeprägten Erregungszustand, der als "Inbesitznahme" der betroffenen Person durch einen Gott, Dämon oder Geist gedeutet wird. Die Verhaltensänderung der Person wird somit auf das Eindringen eines fremden Geistwesen zurückgeführt wird. Es gibt unterschiedliche Ansätze sich der Bessenheit zu nähern, u.a. den psychologischen Zugang oder den soziologischen Zugang.
Besessenheit in der Religion
Das Phänomen der Bessenheit tritt in unterschiedlichen indigenen Gesellschaften und Religionen auf. In der religionswissenschaftlicher Literatur gibt es einen Ansatz, der zwischen "freiwilliger" und "unfreiwilliger" Bessenheit unterscheidet.
Im christlichen Kontext wird die Bessenheit im Neuen und Alten Testament beschrieben.
Die Evangelien berichten von zahlreichen Heilungen Besessener durch Jesus im Sinne einer "Austreibung" (Exorzismus) in der geistigen Tradition des Judentums, das diese von den alten Stammesreligionen des Alten Orients, insbes. von den Hebräern übernommen hat (der Priester und Rabbiner als eine Art hebräischer Schamanismus, Heilung durch Medizinmänner-Ritual ähnlich wie in den Naturreligionen).
In der christlichen Lehre sieht man die Besessenheit daher als die Inbesitznahme eines Menschen durch eine fremde geistige (dämonische) Kraft an, die durch den Besessenen ständig oder zeitweilig handelt. Übliche Ursachen der so verstandenen Besessenheit sollen Verfluchungen und Teufelspakte, aber auch "widernatürlicher Sexualverkehr" und Bewusstseinsöffnungen bei psychedelischen Drogen-"Trips" sein. Als typische (klassische) Anzeichen von Besessenheit gelten bzw. treten in Erscheinung:
- das Unterscheiden geweihter Gegenstände von ungeweihten
- das Sprechen in fremden, dem Sprecher unbekannten Sprachen (Zungenrede)
- krankhafter Selbstzerstörungstrieb
- das unerklärliche Verbreiten von pestialischem Gestank
- Schweben (Levitation (Parapsychologie)|Levitation)
- unerklärliche Kräfte
- eine Abscheu vor geweihten Personen und Gegenständen
- permanentes Fluchen
- Umsessenheitsphänomene
- Wissen um die Vergangenheit
- Wissen um die Sünden von Mitmenschen
- das Hervortreten unterscheidbarer Personen oder Dämonen, von denen der Besessene besessen ist.
Oft soll festgestellt worden sein, dass sich die jeweilige Person nach einem solchen Anfall, auch unter stärkstem Bemühen, daran nicht mehr erinnern kann.
Sehr oft wird Besessenheit als negativ oder krankhaft bewertet. Deshalb wird sie in vielen Religionen auch als ''Krankheits-Ursache'' gesehen, obwohl sie, nach anderem Verständnis, nur ''Symptom'' ist.
Die Folge ist typischerweise die Durchführung von Ritualen, die eine befallene Person von dem fremden Bewusstsein befreien soll, so z.B. der amtskirchliche Exorzismus in der Katholische Kirche.
Heutzutage scheinen Fälle von "Besessenheit" in Europa offiziell eine Rarität zu sein.
In afrikanischen Kulturen gibt es einen Zustand der Trance oder künstlich herbeigeführten temporären Besessenheit, der sogar erwünscht ist, in dem Götter oder Geister Verstorbener, meist sogenannte "Ahnen", von den Menschen Besitz ergreifen, wie es z.B. der Regisseur Jean Rouch im Film Les Maitres Fous darstellte.
Besessenheitsphänomene polarisieren sehr stark, sie werden zum einen von der römisch-katholischen Kirche als Beleg der Existenz dämonischer personaler Wesen verstanden und dienen, wie schon im "Neuen Testament", aufgrund der Wirkung des Exorzismus, als Beleg für die Wahrheit des Glaubens. Andererseits wird "wirkliche Besessenheit" von Materialisten als mit ihrem Weltbild unvereinbar angesehen und in Richtung "psychischer Erkrankungen" und sich dabei ereignende übernatürliche Phänomene in Richtung einer Massenhypnose, wenn nicht Massenpsychose, gedeutet.
Im Horrorfilm ''Der Exorzist'' von William Friedkin wird detailliert die Besessenheit eines Mädchens durch einen Dämon vorgeführt.
Besessenheit in der Parapsychologie
Innerhalb der Parapsychologie gibt es zwei Schulen, und zwar die spiritistische sowie die animistische. Nur erstere hält ein Feinstofflichkeit- körperunabhängiges Bewusstsein (etwa eines Verstorbenen) für möglich. Animistische Parapsychologen erklären die Besessenheit im Sinne der Psychiatrie bzw. gar nicht. Zwei Fälle haben in der parapsychologischen Diskussion große Bedeutung erlangt, weil ihre animistische Interpretation bisher nicht gelungen ist:
Der Fall Thompson-Gifford ist einer vom Typus der sogenannten "partiellen" Besessenheit. Im Jahre 1905 verspürte der Amerikaner Frederic L. Thompson plötzlich den Drang zu malen, wofür er bis dahin weder Interesse noch Talent gehabt hatte. Die so entstandenen Bilder waren im Stil des Malers Robert Swaine Gifford gehalten, der (was Thompson nicht wusste) etwa ein halbes Jahr zuvor gestorben war. Sie zeigten auch existierende Schauplätze, die ihm selbst, nicht aber Gifford unbekannt waren, wie sich aus Photographien in dessen Nachlaß ergab. Thompson behielt jedoch stets das Bewusstsein seiner eigenen Identität.
Das sogenannte Watseka-Wunder (englisch Watseka wonder) ist vom Typ der (temporären) totale Besessenheit. In Watseka (Illinois) wurde im Jahre 1877 Mary Lurancy Vennum 6. April 1864) nach eigenen Angaben von Geistern befallen, darunter jenem der am 5. Juli 1865 in Watseka im Alter von 19 Jahren verstorbenen geisteskranken Mary Roff. Dieser nahm schließlich überhand und es erfolgte eine ausschließliche Identifikation des Mädchens mit Mary Roff, an deren Vergangenheit sie sich erinnerte (im Gegensatz zu ihrer eigenen als Mary Vennum). Ab dem 11. Februar 1878 lebte sie in der Familie Roff, bis zum 21. Mai, als sie sich verabschiedete, um fortan wieder Mary Vennum zu sein. Ob die Persönlichkeit Mary Roffs danach noch temporär durchbrach oder nicht, ist strittig. Der Watseka-Fall wurde von E.W. Stevens und später von Richard Hodgson untersucht.
Besessenheit in der Psychiatrie
In der Psychiatrie geht es nur um die Symptome der einschlägigen Verhaltens-Auffälligkeit und ihre medizinischen Zusammenhänge. Die Frage der tatsächlichen oder auch nur grundsätzlich möglichen Einflußnahme eines fremden Bewusstseins wird ausgeklammert.
Aus Sicht der Psychiatrie, handelt es sich meist um Psychosen oder Zwangsstörungen, die bis ins 20. Jahrhundert neben Knaben gehäuft auch jugendliche Mädchen in strengen Hierarchie|hierarchischen Familienzusammenhängen mit Rigidität|rigiden (und triebfeindlichen) Moralvorstellungen betrafen (ähnlich wie Poltergeist-Phänomene). Allerdings bleibt bei derartigen Deutungsversuchen die Erklärung von (unbewiesenen) übernatürlichen Ereignissen, wie sie für Besessenheit typisch sind, fraglich. Andererseits darf man nicht ausschließen, dass Besessenheit mit psychischen Krankheiten verwechselt werden kann, insbesondere wenn ein Exorzist oder ein Psychiater nicht mit beiden Phänomenen vertraut ist.
Verweise
- Spuk
- Exorzismus
- Voodoo
- Trance
- Hysterie
- Anneliese Michel (letzter öffentlich bekannter Fall eines amtskirchlich genehmigten Exorzismus in Deutschland - tödlich verlaufen)
Literatur
- Gerhard Dammann (2004) Besessenheits- und Trancezustände, In: A. Eckhardt-Henn & S.O. Hoffmann (Hrsg.) Dissoziative Störungen des Bewusstseins, Schattauer, Stuttgart, New York, pp. 161-74; ISBN 3-7945-2203-6
- Felicitas D. Goodman: Anneliese Michel und ihre Dämonen: der Fall Klingenberg in wissenschaftlicher Sicht. - 2. Auflage - Christiana-Verlag, Stein am Rhein, 1987 ISBN 3-7171-0781-X
- Felicitas D. Goodman: Ekstase, Besessenheit, Dämonen: Die geheimnisvolle Seite der Religion. - Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, 1997 (Gütersloher Taschenbücher; 987) ISBN 3-579-00987-7
- Georg Siegmund: Von Wemding nach Klingenberg - Vier weltberühmte Fälle von Teufelsaustreibung - Christiana Verlag, Stein am Rhein, 1985 ISBN 3-7171-0869-7
- P. Adolf Rodewyk S.J.: Dämonische Besessenheit - Tatsachen und Deutungen - 4. Auflage - Pattloch Verlag, Augsburg, 1988
- Kurt E. Koch: Seelsorge und Okkultismus. Eine Untersuchung unter Berücksichtigung der Inneren Medizin, Psychiatrie, Psychologie, Tiefenpsychologie, Religionspsychologie, Religionspsychologie, Parapsychologie, Theologie, Berghausen 1956
''Anmerkungen zur Literatur: G. Siegmund und und A. Rodewyk kommen vom römisch-katholischen Standpunkt her; F. Goodman ist Kulturanthropologin und beschäftigt sich mit der transkulturellen Religionsforschung. 1968 bis 1979 war sie an der Denison-Universität, Ohio, Professorin für Linguistik und Anthropologie. 1980 errichtete sie in New Mexiko ein eigenes Institut zur Erforschung religiöser Ausnahmezustände. Alle genannten Autoren gehen von ihrer Meinung nach echten Besessenheitsfällen aus.''
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