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Tinnitus-Retraining-Therapie
Tinnitus - Modell nach Pawell Jastreboff & Jonathan Hazell und die Retrainingtherapie: Das sogenannte neurophysiologische Tinnitus-Modell wurde von Pawell Jastreboff (Atlanta/USA) und Jonathan Hazell (London/Groß Britannien) entwickelt. Es zielt weniger auf die Entstehung des Tinnitus, vielmehr wird die Verarbeitung des Tinnitus im zentralen Nervensystem und somit das bewusste wie auch das unbewusste Hören in den Mittelpunkt der Überlegungen gestellt.
Im Innenohr werden letztlich lediglich Geräusche und akustische Signale aufgenommen, bereits auf der nächsten Ebene im Bereich des Hirnstammes findet eine Steuerung der vom akustischen System ausgelösten Reflexe statt (z. B. Fluchtreflex nach Hundegebell).
Tinnitus erzeugt in dieser Ebene negative Stimmungslagen und Ängste. Dieser Bereich des Hirnstamms steht in Verbindung mit höheren akustischen Zentren und mit dem Limbischen System, das die menschliche Gefühlswelt steuert. Hier werden Geräusche als angenehm oder unangenehm empfunden. All diese Wahrnehmungen und Empfindungen bestimmen schließlich einen Höreindruck, der im primären Hörzentrum bewusst wird. Erstaunlicherweise können diese Wahrnehmungen aktiv beeinflusst werden, indem z. B. Störlärm unterdrückt bzw. herausgefiltert werden kann. Die Gewöhnung an ständigen Begleitlärm ist eine Form der Habituation.
Genau dieser Mechanismus scheint laut den Theorien von Hazell und Jastreboff bei Tinnitus-Patienten zu versagen, es gelingt nicht den Tinnitus zu unterdrücken, vielmehr wird er als angstauslösend, störend und unangenehm empfunden. Dadurch wird die Aufmerksamkeit auf das Ohrgeräusch gelenkt und der unangenehme Eindruck weiter verstärkt.
Die Störung umfasst damit im wesentlichen das Limbisches System|Limbische System und weniger das eigentliche Hören im Innenohr und in der Hörbahn. Dies könnte unter Umständen auch erklären, warum die bisherigen Therapieversuche, wie durchblutungsfördende Medikamente, Sauerstoffüberdruckbehandlung, Infusionen etc., die eigentlich das Innenohr beeinflussen sollten, keine befriedigenden Lösungen brachten, da die Störung in höheren akustischen Zentren davon unbeeinflusst bleiben.
Auf diesen Überlegungen baut die Tinnitus-Retraining-Therapie auf: Es soll weniger der eigentliche Tinnitus bekämpft werden, sondern es soll die unangenehme Wahrnehmung zurückgeführt werden.
Das erste Element dieser Behandlung ist das sogenannte Tinnitus-Counseling. Hierunter ist keine Psychotherapie im eigentlichen Sinn zu verstehen. Vielmehr sollen dem Patienten in einer Art von Unterricht möglichst viele Informationen über Tinnitus und das neurophysiologische Tinnitusmodell gegeben werden, um so Ängste abzubauen. Auf diese Weise soll ein - laut den Theorien von Hazell & Jastreboff - korrekter Umgang mit dem Tinnitus eingeleitet werden.
Als zweites Element kommen häufig Rauschgeräte ("Tinnitus-Noiser") zum Einsatz. Hierzu wird dem Patienten mit Hilfe eines einem Hörgerät ähnlichen kleinen Apparat, einem Tinnitus-Noiser ein leises, wenig störendes Geräusch angeboten. Der Patient soll damit lernen, durch bewusstes Hinhören auf dieses nicht störende Geräusch aus seiner negativen Einstellung zu Geräuschen herausgeführt zu werden. Der Tinnitus-Noiser darf nicht so laut eingestellt werden, dass der störende Tinnitus maskiert, also übertönt, wird, da sonst keine Gewöhnung bzw. Habituation an den Tinnitus stattfinden kann.
Die Retraining -Therapie fußt also unter anderem auf der Idee, dass der Patient sich an ein leises Geräusch des Noisers gewöhnt und dabei lernt, auch sein eigenes störendes Ohrgeräusch, den Tinnitus als nicht mehr unangenehm zu empfinden.
Solch ein Prozess dauert meist Monate, oft mehr als ein Jahr.
Die Tinnitus-Noiser werden anfänglich nur stundenweise, später 6-8 Stunden täglich getragen.
Auch bei nur einseitigem Tinnitus sollte laut Hazell & Jastreboff eine beidohrige Versorgung mit Tinnitus-Noiser erfolgen, da beide Hörbahnen mit einem Teil der Fasern die Mittellinie kreuzen und die Hörzentren der jeweils anderen Hirnhälfte versorgen.
Der Tinnitus tritt oft in Zusammenhang mit Hörstörungen auf (degenerative Innenohrschwerhörigkeit, Altersschwerhörigkeit, Lärmschwerhörigkeit, Hörsturz, Morbus Meniere, Knalltrauma). Besteht eine gröbere Hörstörung, die mit einem Ohrenheilkunde/hoergeraet.php">Hörgerät versorgt werden sollte, so können Geräte angewendet werden, die sowohl als Hörgerät funktionieren als auch ein breitbandiges Rauschen, das zur Retraining- Therapie verwendet werden kann, abgeben können.
Allerdings muss einschränkend festgehalten werden, dass der Nutzen der Tinnitus-Noiser bislang nicht erwiesen werden konnten. Vergleichsstudien, in denen bei einem Teil der Patienten auf Noiser verzichtet wurde, konnten vielmehr keine Gruppenunterschiede feststellen. Darüber hinaus bietet die oft uneinheitliche und wenig standardisierte Anwendung der Tinnitus-Retraining-Therapie Anlass zu Kritik.
Speziell im deutschsprachigen Raum hat sich - den Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft Deutschsprachiger Audiologen und Neurootologen (ADANO) folgend - eine Variante der Tinnitus-Retraining-Therapie etabliert, in die unter Umständen auch psychotherapeutische Elemente (siehe auch: kognitive Verhaltenstherapie) eingebettet sind.
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