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Spanische Grippe
Das Spanische Grippe-Virus war ein ungewöhnlich verheerender Abkömmling (Subtyp A/H1N1) des Influenzavirus, das zwischen 1918 und 1920 weltweit mindestens 25 Mio. Todesopfer forderte. Es gibt zudem Schätzungen, die von noch wesentlich höheren Fallzahlen ausgehen; so war in einem Editorial der Fachzeitschrift Nature vom 26. Mai 2005 die Rede von ''"bis zu 50 Millionen Menschen weltweit".''
Dies ist in absoluten Zahlen vergleichbar mit der Pest von 1348 (damals starb ein Drittel der Bevölkerung in Europa) und deutlich mehr als bei AIDS heutzutage. Die Besonderheit dieser Pandemie war, dass das Virus vor allem 15- bis 35-jährige Menschen befiel, während sonst durch das Influenzavirus in besonderem Maße vor allem Kleinkinder und alte Menschen gefährdet sind.
Verlauf der Pandemie
Der Name Spanische Grippe entstand, weil die ersten Nachrichten über die Seuche aus Spanien kamen; als neutrales Land hatte Spanien im 1. Weltkrieg eine relativ liberale Zensurbehörde, so dass dort im Unterschied zu anderen betroffenen Ländern Berichte über das Ausmaß der Seuche nicht unterdrückt wurden: Mehr als 8 Mio. Menschen wurden in Spanien im Mai 1918 als infiziert registriert. Vermutlich wurde die Seuche aber von US-amerikanischen Truppen ausgehend von Fort Dix zunächst nach Frankreich eingeschleppt.
In der deutschen Presse durfte zwar nicht über Erkrankungen an der Front berichtet werden, wohl aber ab Anfang Juni 1918 - auch auf den ersten Seiten der Zeitungen - über zivile Opfer.
Die Spanische Grippe trat in drei Wellen auf, im Frühjahr 1918, im Herbst 1918 und in den ersten Monaten des Jahres 1919. Wo sie zuerst auftrat, ist nicht völlig geklärt. Dokumente der US-Armee erwähnen, dass zum ersten Mal am 11. März 1918 aus Fort Riley in Kansas oder andere Quellen in Fort Dix eine Häufung von Influenzafällen gemeldet wurde.
Die Letalität dieser Form des Grippevirus bleibt unklar, da es keine exakten Daten zur Zahl der Erkrankten gibt. Zum Höhepunkt der "Herbstwelle" schätzten die Preußen|preußischen und die Schweizer Gesundheitsbehörden, dass 2 von 3 Bürgern erkrankt waren. Im Herbst und Winter 1918 starben weltweit etwa 25 Mio. Menschen. Manche schätzen die Zahl der Verstorbenen mehr als doppelt so hoch auf ca. 70 Mio Opfer. Die amerikanische Armee verlor mehr GI (Soldat)|GIs durch die Grippe als durch die Kampfhandlungen während des Ersten Weltkrieges. Allein in Indien sollen mehr als 17 Mio. Menschen an der Spanischen Grippe gestorben sein.
Die Spanische Grippe verschwand ab 1921 wieder, so dass die Forscher dieser Zeit nicht nachvollziehen konnten, dass es sich (im heutigen Sinne) um ein Virus handelte; gleichwohl gab es damals schon den Begriff "Virus", im Sinne von "Krankheitserreger" oder "Gift". Das Virus konnte erst 1933 isoliert werden.
Die Analyse der RNA-Sequenz des Virus
1951 hatte der damalige Doktorand und später als Pathologie|Pathologe tätige Johan Hultin Gewebeproben aus einem Massengrab von Grippeopfern im Permafrostboden von Alaska Exhumierung|exhumiert, jedoch keine Influenzaviren nachweisen können. 1997 beschaffte er sich eine Erlaubnis der auf der Halbinsel Seward gelegenen Gemeinde zur erneuten Exhumierung. Von vier Toten wurden Proben aus dem Lungengewebe entnommen, aus einer davon konnten Genfragmente der Grippeviren isoliert werden. Schließlich gelang es, das komplette Genom des Erregers der Spanischen Grippe zu DNA-Sequenzierung|sequenzieren. 1996 und 1997 isolierte eine Forschergruppe des Instituts für Pathologie der US-Streitkräfte in Rockville zudem Teile des Grippevirus aus unterschiedlichen Gewebeproben, die von der US-Armee aufbewahrt wurden.
Im Jahr 2003 konnte durch Reid et al. bestätigt werden, dass das Virus von einem Influenza-A-Virus (auch Vogelgrippevirus) abstammte. 2004 haben Gamblin et al. durch Strukturanalyse des Hämagglutinins H1 die direkte Mutation nachgewiesen.
In Spektrum der Wissenschaft (Heft 4/2005) schrieben andere Forscher, das Virus gehöre offenbar "nicht zu den Vogelviren, sondern zu den menschlichen und den Schweineviren." Gleichwohl entstamme das Virus ursprünglich vermutlich einem Vogelreservoir, sei aber wohl schon längere Zeit vor dem Ausbruch der Pandemie auf Säugetiere übergegangen. Der Zwischenwirt, in dem sich die allmähliche Mutation|Veränderung seiner Erbanlagen bis hin zur tödlichen Gefahr für Menschen zugetragen habe, konnte aber bisher nicht identifiziert werden. Die Forscher vermuten weiter, dass das Virus als Vorläufer für später bei Schwein und Mensch nachweisbare Virusvarianten anzusehen ist.
Die Rekonstruktion der RNA-Sequenz des Virus
Im Oktober 2005 berichteten US-amerikanische Wissenschaftler, dass sie in einem Hochsicherheitslabor des CDC (Center for Disease Control and Prevention) in Atlanta das Virus von 1918 rekonstruiert haben. Ihre Forschungsarbeiten wurden am 6. Oktober 2005 zusammen mit der kompletten Genom|Gensequenz in den Fachzeitschriften "Science" und "Nature (Zeitschrift)|Nature" veröffentlicht und wurden auch als ein Beitrag zur Eindämmung der in Asien grassierenden Vogelgrippeviren von Typ A/H5N1 ausgewiesen. Das Virusmaterial, mit dessen Hilfe die Rekonstruktion vorgenommen wurde, hatten die Forscher aus Gewebeproben einer in Alaska im Dauerfrostboden liegenden Frauenleiche gewonnen. Die Frau war 1918 an der Spanischen Grippe gestorben und dort beerdigt worden. Zusätzlich verwendeten die Forscher in Formaldehyd|Formalin konserviertes Lungengewebe von anderen Opfern der Spanischen Grippe.
Die Forscher kamen aufgrund ihrer Analysen zu dem Schluss, dass das Humaninfluenza-Virus direkt von einem Vogelgrippevirus abstamme und der Übergang auf den Menschen erst unmittelbar vor Beginn der Pandemie stattgefunden habe. Aufgrund der großen Ähnlichkeit mit bekannten Varianten der Vogelgrippe vertreten sie ferner die Meinung, dass das Virus seine Gefährlichkeit als Folge weniger Mutationen erzielt habe und nicht durch einen Austausch von Erbanlagen mit bereits zuvor vorhandenen Varianten der Humaninfluenza, d.h. nicht durch eine Reassortierung.
In Tierversuchen erwies sich das rekonstruierte Virus (wie aufgrund der hohen Todesraten der Epidemie von 1918 zu erwarten war) als extrem aggressiv: Es tötete Mäuse rascher als jedes andere bisher bekannte Humaninfluenza-Virus und war - im Unterschied zu den meisten Humaninfluenza-Viren - auch für Hühnerembryos tödlich. Seine Polymerase-Gene ähnelten denen von A/H5N1 und anderer Vogelgrippe-Viren. Außerdem erwies es sich als äußerst vermehrungsfreudig in Epithelzellen aus menschlichen Bronchien, was im funktionstüchtigen Organ zur Lungenentzündung führen würde.
Zusätzlich ist es in der Lage, anders als heute kursierende Influenza-Viren, sich ohne Trypsin vermehren zu können, was einen bisher unbekannten Mechanismus der Neuraminidase voraussetzt, der die Abspaltung des Hämagglutinin vereinfacht.
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