Orgasmus
Der Orgasmus (lat. Climax) ist der Höhepunkt des sexuellen Lusterlebens. Kurz vor dem Orgasmus steigert sich die Durchblutung der Geschlechtsorgane ins Maximum, während des Höhepunkts kommt es im Genitalbereich zu Rhythmus|rhythmischen unwillkürlichen Muskelkontraktionen, in denen sich die sexuelle Spannung entlädt. Anschließend kommt es meist zu einer Entspannung des Genitalbereichs, oft auch des gesamten Körpers.
Beim Mann kommt es in der Regel während des Orgasmus zur Ejakulation. Neben den körperlichen Reaktionen äußert sich der Orgasmus in einem meist als angenehm empfundenen und sehr Individualität|individuell erlebten Zustand des Rausches und der Überwältigung.
Hintergründe und anthropologische Theorien
Es ist noch nicht hinreichend geklärt, wann, wie und warum das mit dem Geschlechtsakt verbundene Glücksgefühl entstanden ist. Sicher ist nur, dass es ein im wesentlichen zentral-nervöser Vorgang bzw. eine Folge von bestimmten Gehirn|Gehirnleistungen ist, vergleichbar mit einem neuronalen Feuerwerk. Daher kann man den Orgasmus aus biologischer Sicht deutlich von der Ejakulation, der Fortpflanzung, dem Eisprung und anderen körperlichen Veränderungen unterscheiden.
Der Orgasmus in der Tierwelt
Ein sexueller Höhepunkt bei Tieren ist schwierig nachzuweisen. Bei den Weibchen der Katzenartigen löst ein Reflex während der Begattung den Eisprung aus, sie reagieren auf diesen Vorgang oft lautstark. Ebenso wurden bei bestimmten Primaten Vorgänge beobachtet, die auf einen Orgasmus hindeuten, während sich Schimpansen Berichten zufolge ''scheinbar ohne grössere Affektregung'' miteinander paarten. Neurologisch betrachtet ist ein Orgasmus bei Primaten und anderen höher entwickelten Arten denkbar, da sich das Sexualzentrum mit dem "orgastischen Reflex" in den Phylogenese|phylogenetisch älteren Teilen des Zentralnervensystems befindet, welche bei allen höheren Säugetieren in ähnlicher Form wie beim Menschen vorhanden sind (siehe auch Hypothalamus, Limbisches System, Amygdala).
Der Orgasmus und frühmenschliches Paarungsverhalten
Manche Frauen können mehrere Orgasmen in Folge, so genannte "multiple Orgasmen" erleben. Über diese Erscheinungsform gibt es anthropologische Erklärungsversuche, die von der Annahme ausgehen, dass sich frühmenschliche Weibchen von mehreren Männchen in rascher Folge begatten ließen, wobei nur die Männchen mit dem fruchtbarsten Sperma die geschlechtliche Fortpflanzung erreichten. Eine britische Studie, scheint diese Annahme zu bestätigen: Es wurde beobachtet und dokumentiert, wie sich die Samenfäden verschiedener Männer gegenseitig vernichteten.
Die Schlussfolgerung im Sinne des obigen Erklärungsmodells, es handele sich offenbar um eine zur Abwehr von Konkurrenten angelegte Vernichtungsreaktion, ist jedoch strittig: So sei die vermeintliche Abwehrreaktion vermutlich eher eine irrtümlich eingeleitete Befruchtungsreaktion.
Der Orgasmus und partnerschaftliche Bindung
Die mannigfaltigen Möglichkeiten, mit denen Menschen einen Orgasmus erreichen können, und die damit verbundenen Erlebnismöglichkeiten, fordern eine wichtige typisch menschliche Eigenschaft heraus: die Kreativität. Sie ermöglicht dem Menschen die Erweiterung seiner Grenzen und fordert vielfältige und intensivierte Erlebnismöglichkeiten heraus. Gemeinsame angenehme intime und intensive Erlebnisse begünstigen eine partnerschaftliche Bindung, weil sie zur Wiederholung einladen und Vertrauen und Empathie voraussetzen wie verstärken. Aus Sicht der Evolutionsbiologie ist der Orgasmus daher ein wichtiges Selektionsinstrument, durch das die Kreativität als eine Empathie|empathische Leistung schon früh mit der Partnerbindung belohnt wurde. Diese begünstigte durch die Möglichkeit zu wiederholtem Geschlechtsverkehr die Fortpflanzung und stellte eine geeignete Basis dar, um den Nachwuchs zu versorgen, zu schützen und zu Erziehung|erziehen.
Andererseits ermöglicht die Kreativität beim Erlangen von sexuellen Höhepunkten die Loslösung vom bloßen Akt der Vermehrung und eröffnet andere, nicht ursächlich der Fortpflanzung dienende Sexualpraktiken und alternative Formen der Partnerschaft, etwa Homosexualität|gleichgeschlechtliche Beziehungen oder die so genannte offene Beziehung.
Anthropologen sehen in der durchschnittlich längeren Vorlaufzeit des Orgasmus von Frauen ein wichtiges Selektionskriterium für die Partnerwahl: Indem sich der Partner um die sexuelle Befriedigung der Frau bemühe und seine eigene vorerst zurückstelle, zeige er wertvolle Eigenschaften wie Empathie, Leistungsbereitschaft und Geduld, die von wesentlicher Bedeutung für eine Bindung und zur gemeinsamen Aufzucht von Kindern seien.
Geschlechtliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Menschen haben individuelle Vorlieben hinsichtlich der sexuellen Stimulation und können auf verschiedene Weisen Orgasmen erleben. Die Zahl von Orgasmen, die ein Gesundheit|gesunder Mensch erleben kann, ist unbegrenzt. Eine natürliche Grenze ist durch die Refraktärzeit gegeben.
Laut Angaben einiger Wissenschaftler besteht ein Zusammenhang zwischen einer gut trainierten Beckenbodenmuskulatur, besonders des PC-Muskels, und der weiblichen Orgasmusfähigkeit sowie der männlichen Potenz.
Der Orgasmus des Mannes
Der Orgasmus des Mannes geht mit rhythmischen Muskelkontraktionen des Beckenbodens einher, es kommt meist zur Ejakulation, wobei das Sperma aus den Hoden in die Harnröhre gelangt und durch die Öffnung in der Glans penis|Eichel nach außen geschleudert wird. Neben dieser häufigen Form kann der Höhepunkt bei manchen Männern mit der so genannten Injakulation verbunden sein, die sich als sexuelle Kunstform bereits in den altchinesischen Schriften des Taoismus findet und in unserer Zeit als Methode zum Erreichen männlicher multipler Ogasmen propagiert wird. Vor der Geschlechtsreife erleben Jungen den sogenannten trockenen Orgasmus, einen Orgasmus ohne Ejakulation.
Im Unterschied zu vielen Frauen können die meisten Männer beim Vaginalverkehr ohne explizite zusätzliche Stimulationen einen Orgasmus erleben. Männer brauchen normalerweise eine längere Erholungsphase als Frauen, um die sexuelle Spannung für einen weiteren Orgasmus aufzubauen (vergl. sexueller Reaktionszyklus), während manche Frauen zu multiplen Orgasmen fähig sind.
Durch ein gezieltes Training des PC-Muskels soll es jedoch auch einigen Männern gelingen, mehrere Orgasmen hintereinander erleben zu können - allerdings mit kurzen Erholungspausen dazwischen, die von Höhepunkt zu Höhepunkt länger würden. Die Menge des Ejakulats nähme dabei von Mal zu Mal ab, weil die Hoden eine gewisse Zeit bräuchten, um erneut Samenfäden und Samenflüssigkeit zu produzieren.
Angaben zufolge können manche Männer durch die (rektale) Massage der Prostata einen Orgasmus erleben, der sich in der Art des Erlebens von einem Orgasmus, der durch die Reizung des Penis hervorgerufen wird, unterscheidet. Dieser Effekt könne bei den betreffenden Männern meist erst im fortgeschrittenen Lebensalter erzielt werden.
Der Orgasmus der Frau
Der Orgasmus der Frau geht mit einer Anzahl rhythmischer Muskelkontraktionen einher, die während der fruchtbaren Phase der Frau empfängnisunterstützend wirken können, da sie im Falle einer Befruchtung den Gebärmuttermund rhythmisch und mit peristaltischen Bewegungen in die Samenflüssigkeit eintauchen.
Da die Scheidenwand fast keine Nerven aufweist, kommen viele Frauen nur dann zum Orgasmus, wenn bestimmte Lustzentren, z. B. die Klitoris, der G-Punkt, der A-Punkt oder andere, stimuliert werden. In vielen allgemeinen und in einigen älteren wissenschaftlichen Publikationen wird unterschieden zwischen einem "klitoralen" und einem "vaginalen Orgasmus", wobei letzterer oftmals als erfüllender oder gar als höhere Stufe propagiert wird.
Heutige Wissenschaftler gehen davon aus, dass jeder weibliche Orgasmus von dem nervenreichen weiblichen Sexualorgan, der Klitoris ausgeht. Die publizierten Unterscheidungen seien darin begründet, dass das, was gemeinhin als Klitoris angesehen werde, nämlich die außen sichtbare Klitorisspitze, in Wirklichkeit nur einen kleinen Teil des Organs darstelle, das ca. elf Zentimeter lang sei und dessen Nervenenden bis in die Vagina und die Oberschenkel hineinreichen sollen. Dadurch könne es durch vielerart Stimulationen zu einem (klitoralen) Orgasmus kommen.
Die Orgasmusfähigkeit von Frauen nimmt mit zunehmendem Alter und zunehmender sexueller Erfahrung zu. Frauen lernen oft erst mit der Zeit, durch welche Stimulationen sie am besten zum Orgasmus kommen und gewinnen mit dem Heranwachsen und mit zunehmender Erfahrung mehr und mehr Selbstbewusstsein, was wichtig ist, um die eigenen sexuellen Wünsche zu vertreten. Berichten zufolge kann mit zunehmender Erfahrung die weibliche Vorsteherdrüse (Prostata feminina oder Gräfenberg-Zone, kurz G-Punkt) durch gezielte Reizung aus dem umliegenden Vaginal-Gewebe hervortreten, was bei der vaginalen Stimulation das sexuelle Lustempfinden steigern und leichter einen Orgasmus bescheren könne. Die feinen Abstufungen in den Stimulationsmöglichkeiten und im Empfinden können trainiert werden, gleichzeitig unterliegen sie individuellen und lebenszyklischen Schwankungen, die hormonell wie Anatomie|anatomisch bedingt sind.
So berichten etwa viele Frauen nach der ersten (Vaginal-)Geburt von einer Zunahme des sexuellen Genusses und intensiveren Empfindungen im Bereich der vorderen Scheidenwand, der Umgebung des G-Punkts.
Bei einigen Frauen kann es Angaben zufolge, ähnlich wie beim Mann, während des Orgasmus zu einer Ejakulation kommen. Dabei sondere die Frau stoßweise ein klares Sekret aus dem G-Punkt-Drüsenzentrum ab, dem möglicherweise fördernde Eigenschaften für die Befruchtung zugeschrieben werden könnten: sei das männliche Ejakulat zu dickflüssig oder betrage es zu wenig, und sei dadurch die Beweglichkeit der Spermien eingeschränkt, könne das Weibliche_Ejakulation|weibliche Ejakulat diese hinderlichen Faktoren ausgleichen.
Zudem beeinflusse es das Basen-Säuren-Verhältnis in der Vagina: Die Vaginalflora hat normalerweise einen sauren pH-Wert während Spermien eine leicht alkalische Umgebung brauchen, das weibliche Ejakulat erhöhe für eine kurze Zeit den pH-Wert in der Vagina und ermögliche so, dass die Spermien während der befruchtungsfähigen Phase der Frau unversehrt in die Gebärmutter gelangen könnten. Eine genaue Einordnung der Substanz sei bisher nicht gelungen. Vermutlich handele es sich um ein Sekret aus der Prostata feminina, das in seiner Zusammensetzung mit Ausnahme der Spermien dem männlichen Ejakulat ähnelt.
Bewusste Steuerung des Orgasmus
Wie häufig und durch welche Stimulationen ein Mensch Orgasmen erleben kann, sagt wenig über seine sexuelle Genussfähigkeit aus. Sie hängt vielmehr von der Tiefe seiner Hingabe, seiner Fähigkeit zur Überwindung der Selbstkontrolle und seinem Selbstwertgefühl ab. Die Bezeichnung Liebesspiel kommt von Spiel als Tätigkeit zum Selbstzweck aus purem Genuss. Diese Einstellung beinhaltet oft eine größere sexuelle Erfüllung als die leistungsorientierte Orgasmusjagd.
Die Intensität des weiblichen Orgasmus lässt sich laut unterschiedlichen Erfahrungsberichten mit der ?Raffinesse? des Liebesspiels steigern, etwa durch kurzfristige Intensitätsänderungen der Berührungen, mehrfache Stimulationen wie gleichzeitige Berührungen von Klitoris und Brüsten, Mund oder Analregion sowie einer "Inszenierung" der Situation, etwa durch das Einnehmen einer aktiven, passiven oder Imagination|imaginären Rolle oder durch Augenverbinden. Darauf zu warten oder sich unter Druck zu setzen wird hingegen als hinderlich beschrieben.
Männer lernen mit zunehmender Erfahrung, wie sie ihren Orgasmus und die Ejakulation durch Selbstbeherrschung und -diziplin besser kontrollieren können. Hierbei entwickeln sie vor allem die Fähigkeit, den Orgasmus willentlich hinauszuzögern, was häufig den sexuellen Genuss erhöht und zu einem intensiveren Höhepunkt führt. Ebenso kann die Partnerin oder der Partner durch einen Intensitätswechsel der Stimulationen den Zeitpunkt des männlichen Orgasmus mit steuern.
Eine Verfeinerung des Liebesspiels stellt das bewusste Hinauszögern des Orgasmus durch wiederholtes Unterbrechen der Stimulation bei fortgeschrittener Erregung dar. Diese Erkenntnis begründet die Sexualtechniken des buddhistischen Tantras, wobei sich der Orgasmus hier nicht in einer explosiven Entladung der sexuellen Energie äußert, sondern mit bestimmten Atemtechniken in andere Energieformen transformiert wird, die sich in einem ganzkörperlichen und lang anhaltenden Zustand hoher Ekstase äußern. Im Buddhismus steht jedoch nicht die Maximierung der eigenen Erlebnistiefe im Mittelpunkt, sie ist lediglich ein Nebenprodukt der spirituellen Handlung. Die sexuellen Techniken des Tantras bezwecken nach traditioneller Auffassung vielmehr, eine Nähe zu den Göttern, insbesondere der Doppelgottheit Shiva|Shiva/Shakti herzustellen und durch das orgastische Erleben einer Auflösung der Ichgrenzen selbst zu dieser zu werden. Die Bereitschaft zur Selbstaufgabe begünstigt hierbei vermutlich die Erlebnistiefe.
Auch Teile der heute noch populären altindischen Schriften des Kamasutras zeugen bereits von einer frühen Auseinandersetzung mit Techniken, die eine Steigerung des sexuellen Genusses erzielen sollen, überdies setzen sie einen bemerkenswerten Kontrapunkt zum damals in der westlichen Welt verbreiteten eher prüden Umgang mit der Sexualität.