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Focusing
Die Methode des erlebensbezogenen Focusing wurde im Zusammenhang der Klientenzentrierten Psychotherapie (Carl Rogers) seit den sechziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts von Eugene T. Gendlin (1926), Professor für Philosophie und Psychologie an der Universität Chicago entwickelt. Die Besonderheit ist die innere Orientierung des Gesprächs an einem bedeutungshaltigen Körperempfindungen, dem sog. Felt Sense, das der Klient als körperliche Resonanz zu seinem Problem zu spüren lernt. Durch schrittweise Symbolisierung (suchen stimmiger Worte, Bilder, Bewegungen...) dieser körperlich fühlbaren Bedeutung eines Problems sollen die zuvor nicht dem Bewusstsein zugänglichen, unklaren Aspekte dieses Problems klarer verstanden und damit einer Veränderung zugänglich gemacht werden. Der Felt Sense soll als Biospiritualität die Leibtherapien unterstützen, ähnlich dem Yoga.
Vorgehensweise
Der Focusing-Prozess läuft in folgenden Bewegungen ab:
- Freiraum schaffen: Sich auf das Problem einstellen, jedoch einen inneren Abstand dazu wahren
- Einen Felt Sense kommen lassen: Aufmerksamkeit auf Brust-/Bauchraum richten und dabei körperliche Resonanz zum Thema entstehen lassen
- "Den Felt Sense beschreiben - einen Griff finden": Einen Begriff oder eine kurze Beschreibung für dieses - meist diffuse - Körpersignal kommen lassen
- Vergleichen: Den gefundenen Begriff mit dem Felt Sense abgleichen
- Fragen: Was braucht der Felt Sense, um sich mit dem Problem (wieder) wohler zu fühlen und Lösungsrichtungen zu entwickeln
- Annehmen und schützen: Schützen des Prozesses gegen innere Kritikerstimmen, Ergebnis würdigen
Als Grundhaltungen in diesem Prozess werden u.a. "Freundlichkeit sich selbst/dem eigenen Körper gegenüber", "das Existierende annehmen" und absichtsloses "Da-Bleiben und Kommen-Lassen" empfohlen.
Die körperlich spürbare Veränderung (felt shift) vom unklaren Gefühl zur inneren Klarheit, die der Fokussierende dann erleben soll, wird als wesentlicher Bestandteil der Persönlichkeitsentwicklung betrachtet.
Anwendung
Dieser "Kernprozess der Persönlichkeitsentwicklung" hat inzwischen Eingang in verschiedene Anwendungen gefunden: Focusing als Selbsthilfemethode (Gendin 1998a, Weiser Cornell 1997), Focusing-orientierte Psychotherapie (Gendlin 1998b; Gendlin & Wiltscko 1999), Traumarbeit (Gendlin 1987), Arbeit mit Kindern usw. (zur Vielfalt der Anwendungen s. Feuerstein, Müller & Weiser Cornell 2000). Inzwischen liegen auch Focusing-orientierte Ansätze für Coaching, Supervision und Entscheidungsfindung vor .
Eugene Gendlin hat in den letzten Jahren seinen Ansatz für praktische erkenntnistheoretische Aufgabenstellungen weiter entwickelt, bezeichnet als TAE - Thinking at the Edge (deutsch: etwa "Denken am Rande des Bewusseins" oder "Denken, wo Worte noch fehlen"). In dieser Methode werden derzeit 14 Schritte angegeben, die von einem vagen Gefühl über ein bestimmtes Erfahrungsfeld bis hin zu logisch-formalen Strukturen fortschreiten.
Die Methode des Focusing (i. S. der o.g. Schritte und Haltungen) soll von jedermann erlernbar und ohne Therapeut anwendbar sein. Für den Alltag werden Partnerschaften empfohlen, in denen die Teilnehmer untereinander im Sinne wechselseitiger Selbsthilfe Focusing nutzen. Dieser Selbsthilfecharakter hängt mit Gendlins Kritik an der klassischen Psychotherapie zusammen: Der Fehler der meisten Psychotherapien sei ihr Anspruch, Resultate zu erzielen. Das autoritäre Verhältnis, das darum in der traditionellen Psychotherapie aufgebaut wird, sperre viele Patienten von der Selbsterkenntnis aus. Patienten verstünden zwar ihre Probleme durch Psychotherapie besser, sie fühlten sich aber nicht "bevollmächtigt", sie zu lösen. Hier sieht Gendlin die Aufgabe des Focusing.
Innerhalb der Psychotherapie sieht Gendlin die Aufgabe des Therapeuten vor allem darin, durch geeignete Gestaltung der Beziehung und der Art, wie Methoden eingeführt werden (erlebensbezogener Methodengebrauch) dem Klienten zu helfen, auf sich zu hören und Lösungen aus dem eigenen organismischen Erleben zu entwickeln.
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