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Muskeldystrophie

Die Muskeldystrophie ist eine erblich bedingte Muskelerkrankung, die zu einem fortschreitenden Schwund des Muskelgewebes führt.

Kennzeichen einer Muskeldystrophie ist eine fortschreitende, meist symmetrisch ausgebildete Muskelschwäche, die je nach Typus an einer bevorzugten Körperregion beginnt. Es sind mehr als 30 verschiedene Formen bekannt. Sie unterscheiden sich hinsichtlich dem Erbgang, der beginnenden Körperregion, dem Erkrankungsalter und dem Verlauf.

Beispiele

Die beiden häufigsten Formen sind der Typ Duchenne und der Typ Becker-Kiener. Beide werden x-chromosomal-rezessiv vererbt. Dementsprechend erkranken fast ausschließlich Jungen, da das ergänzende Y-Chromosom keine Dominanzfunktion hat. Mädchen erkranken nur, wenn sie den Gendefekt auf beiden X-Chromosomen besitzen, was sehr selten ist.

Die Muskeldystrophie vom Typ Duchenne ist die häufigste muskuläre Erbkrankheit im Kindesalter (1 : 5000). Sie beginnt im Kleinkindalter mit einer Schwäche der Becken- und Oberschenkelmuskulatur, schreitet rasch voran und endet, meist im jungen Erwachsenenalter, immer tödlich, sobald die Herz- und Atemmuskulatur abgebaut wird. Man bezeichnet sie daher auch als "maligne (=bösartige) Muskeldystrophie".

Die Muskeldystrophie vom Typ Becker-Kiener ist wesentlich seltener als die vom Typ Duchenne (1 : 60000), bevorzugt aber auch die Becken- und Oberschenkelmuskulatur.

Die Erkrankung tritt im Schulalter auf und schreitet langsamer voran. Aufgrund des wesentlich günstigeren Krankheitsverlaufes bezeichnet man diesen Typ als "benigne (=gutartige) Muskeldystrophie".

Ursachen

Alle Formen der Muskeldystrophien beruhen auf genetischen Defekten.
Dabei wird das für den Muskelstoffwechsel notwendige Protein Dystrophin gar nicht oder in unzureichender Menge gebildet, was früher oder später zum Untergang des Muskelgewebes führt.

Symptomatik und Verlauf

Typ Duchenne

Die Muskeldystrophie vom Typ Duchenne wurde von Guillaume-Benjamin Duchenne bereits im 19. Jahrhundert in Paris beschrieben. Sie zeigt einen nahezu gesetzmäßigen Verlauf.
Im 3. bis 5. Lebensjahr fällt bei den Betroffenen eine leichte Muskelschwäche der Beine auf, die zu häufigem Stolpern und Fallen führt.

Im weiteren Verlauf ist das Treppensteigen nur mit Zuhilfenahme eines Geländers möglich. Die Muskelschwäche der Becken- und Oberschenkelmuskulatur verursacht einen Watschelgang sowie ein erschwertes Aufstehen aus dem Sitzen oder Liegen.

Die Kinder klettern an sich selbst hoch (Gowers-Manöver) oder nutzen Wände und Möbel zum Abstützen.
Ab dem 5. bis 7. Lebensjahr sind das Treppensteigen und Aufstehen aus dem Sitzen oder Liegen nur noch mit Hilfe anderer möglich, da die Erkrankung auch auf die Muskulatur der Schulter und Arme übergreift.

Zwischen dem 7. und 12. Lebensjahr ist ein Anheben der Arme in die Waagerechte kaum mehr möglich. Viele Kinder sind in diesem Alter bereits auf den Rollstuhl angewiesen, können sich aber noch eingeschränkt selbständig versorgen.

Meist besteht ab dem 18. Lebensjahr vollständige Pflegebedürftigkeit.
Infolge des Muskelschwundes kommt es zu schmerzhaften Fehlstellungen von Gelenken und Knochenverformungen.

Charakteristisch für den Typ Duchenne sind die sogenannten "Gnomen- oder Kugelwaden". Sie entstehen durch Fetteinlagerungen in der bindegewebig umgebauten Unterschenkel-Muskulatur ("Pseudohypertrophie").

Bei Abbau der Schultergürtelmuskulatur kommt es zu hervorstehenden Schulterblättern ("Scapula alata"), auch Engelsflügel genannt.

Letztendlich werden auch die Atemmuskulatur und der Herzmuskel von der Erkrankung befallen. Die Patienten versterben fast immer an Herzversagen oder Ersticken im Alter von ca. 25 Jahren

Typ Becker-Kiener

Die Muskeldystrophie vom Typ Becker-Kiener nimmt einen langsameren Verlauf.
Auch hier ist zuerst die Becken- und Oberschenkelmuskulatur betroffen, wobei die Erkrankung jedoch erst zwischen dem 7. und 20. Lebensjahr beginnt.

Die Gehfähigkeit der Patienten bleibt meist bis zum 40., gelegentlich sogar bis zum 60. Lebensjahr erhalten. Trotz des insgesamt günstigeren Verlaufs versterben auch hier die meisten Patienten, nachdem die Erkrankung den Herzmuskel und die Atemmuskulatur befallen hat.

Diagnose

Der Verdacht auf Muskeldystrophie ergibt sich, wenn im Kindesalter eine ungewöhnliche, symmetrisch ausgebildete Schwäche der Muskulatur beobachtet wird. Bei der Anamnese interessieren besonders der Beginn der Funktionsstörungen, der Verlauf und das Auftreten ähnlicher Störungen in der Familie.
Bei der körperlichen Untersuchung wird nach allgemeinen Auffälligkeiten geschaut, wie Haltung, Beweglichkeit und Atmung.

Bei der neurologischen Untersuchung wird die Funktion der Nerven und Muskeln überprüft.
Die Gendiagnose macht eine genaue Zuordnung nach Typus möglich.

Muskeldystrophien können neurogene oder myogene Ursachen haben. Eine Differenzierung erfolgt durch Elektroneurographie (Lähmungsdiagnostik) und Elektromyographie. Bei der Elektroneurographie werden die Nervenleitgeschwindigkeit und die Funktionstüchtigkeit der Nervenfasern ermittelt. Dabei werden Nerven elektrisch gereizt. Bei der Elektromyographie werden Muskelströme gemessen. Dabei kann ermittelt werden, ob die Nervenfasern geschädigt, oder ob die Muskeln selbst erkrankt sind.

Laborwerte geben ebenfalls wichtige Hinweise: Die Menge an Creatin-Kinase, ein Muskelenzym, ist oft im Blut erhöht. Andere Enzyme und Stoffwechselprodukte der Muskeln, bestimmte Immunsystem|Antikörper, sowie andere Blut- und Urinwerte ergänzen die Diagnose.
Als bildgebende Verfahren werden Magnetresonanztomographie (MRT) und Ultraschall eingesetzt. Hier können ohne Belastung des Patienten strukturelle Veränderungen der Muskeln beurteilt werden.
Die Biopsie|Muskelbiospie erlaubt die Untersuchung des Muskels unter dem Mikroskop|Licht- oder Elektronenmikroskop. Die Stoffwechselvorgänge im Muskel können damit genau untersucht werden.

Therapie

Eine effektive Behandlung bedarf einer Kombination aus Arzt, Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, Pflege und Psychotherapie|psychologischer Betreuung.

Kortisongaben und operative Lösung von Kontrakturen verlängern die Gehfähigkeit, Kreatingaben verbessern den Muskelstoffwechsel (regelmäßige Therapiepausen nötig!). Als Hilfsmittel werden Orthesen, Rollstuhl, Duschstuhl, Badewannen-Lifter, Toilettensitzerhöhungen und Rollstuhlrampen eingesetzt.

Physiotherapeutische Behandlung

Ziele

Ziel aller physiotherapeutischen Maßnahmen ist es, die Folgen der Muskelschwäche so gering wie möglich zu halten bzw. in einem bestimmten Ausmaß zu korrigieren. Die Behandlung orientiert sich an Typ, Stadium und Prognose der Erkrankung, sowie an der Lebenssituation des Betroffenen und seiner Familie.

Allgemeine Schwerpunkte sind
  • Erhalten einer ausreichenden Atemkapazität
  • Erhalten / Ökonomisieren der Herz-Kreislauf-Funktion
  • Erhalten / Verbessern der Durchblutung
  • Erhalten der Beweglichkeit / Kontrakturprophylaxe
  • Kräftigen / Ökonomisieren der intakten Muskulatur
  • Erhalten der Koordination
  • Erhalten der Orthostatik (Aufrichtung des Körpers)
  • DTKP-Prophylaxe (Dekubitus, Thrombose, Kontrakturen, Pneumonie)
  • Verzögerung von Skoliosen (Wirbelsäulenverbiegung)
  • Erhalten der Selbständigkeit

Behandlungshinweise

Die Auswahl und die Stärke der Behandlungsmaßnahmen muss aufgrund der progressiven Muskelschwächung ständig neu bewertet werden.
Generell sollte nur mit warmer Muskulatur gearbeitet werden (vorherige Wärmeanwendung / Zimmertemperatur um 30°).

Da dystrophe Muskulatur durch Überanstrengung und Überforderung zusätzlich geschädigt wird, sollte der Therapeut auf das Arbeiten gegen Widerstand bzw. mit Gewichten und Aufprallbelastungen (Springen) verzichten.

Bei Kindern soll die Spontanaktivität und das Erlernen eines ökonomischen Krafteinsatzes angeregt werden (z.B. Bewegungsübergänge mit Abstützen).

Bei allen Angeboten sollten die Kinder Freude an der Therapie haben. Spaß an der Bewegung kann helfen, bestehende Depressionen zu lindern.

Die Muskelschwäche ist das Hauptproblem bei Muskeldystrophien.
Bei rasch fortschreitenden Erkrankungen besteht das Risiko einer verstärkenden Abschwächung durch zu intensives Training. Es sollte grundsätzlich mehr mit dem Ziel der Funktionsbesserung als mit dem Ziel der Kräftigung trainiert werden. Darum müssen Patienten über die Warnzeichen einer Überbelastung informiert sein. Hierzu gehören ein Schwächegefühl innerhalb von 30 Minuten nach der Übung oder Muskelschmerzen 24 bis 48 Stunden nach dem Training. Andere Warnsignale beinhalten ausgeprägte Muskelkrämpfe, Schweregefühl von Armen und Beinen und anhaltende Kurzatmigkeit.
Dennoch ist durch ökonomisches Training mit leichter bis mäßiger Belastung wie Gehen, Schwimmen und Fahren auf dem Ergometer eine Verbesserung der Ausdauer und damit eine Minderung der Schwäche zu erreichen.

Sobald die Krankheit auf die Atemmuskulatur übergreift, müssen regelmäßige Lungenfunktionstests erfolgen. In den letzten Jahren wurden gute Fortschritte in der Möglichkeit der Heimbeatmung gemacht.
Bei der Erstellung eines Trainingsprogramms muss die Herzbelastbarkeit überprüft werden. Manchmal kann der Einsatz eines Herzschrittmachers notwendig sein.

Behandlungsmaßnahmen

  • Atemtherapie
  • Wärmeanwendungen
  • Passives Durchbewegen
  • Traktionen / Gleitmobilisation
  • Kombination aus isometrischen und dynamischen Bewegen
  • Stemmführungen nach Brunkow
  • Lagewechsel und Transfer einüben
  • intermittierendes Ausdauertraining
  • Klopf-Druck-Massage
  • Klassische Massage (nur sanfte Griffe)
  • Ultraschall-Therapie
  • Elektrotherapie (Galvanisation)
  • Hydroelektrische Bäder
  • Ergometertraining
  • Schwimmen / Bewegungsbad

Kontraindikation

Zu vermeiden ist/sind
  • Arbeiten an kalter Muskulatur
  • Kältereize
  • Training bis zur Ermüdung / Erschöpfung
  • Dehnung der betroffenen Muskulatur
  • Reizstromtherapie
  • kräftige Massagereize (Knetungen, tiefe Friktionen)
  • Resistives Bewegen der dystrophen Muskulatur

Die Informationen dienen der allgemeinen Weiterbildung. Sie können in keinem Falle die ärztliche Beratung, Diagnose oder Behandlung ersetzen.
Bei gesundheitlichen Beschwerden sollten Sie ärztlichen Rat einholen.

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